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Evolution, Selbstorganisation, Chaos und christlicher Glaube
Inhaltsübersicht
4.0. Fragestellungen
4.1. Schöpfung und Evolution (Ditfurth)
4.2. „Kult um das Chaos“
4.3. Synergetik, Selbstorganisation und Prigogine
4.4. Schöpfung und Autopoiese
4.0. Fragestellungen:
Der christliche Schöpfungsglaube hatte, auch wenn er sich in einer modernen Form nicht als Gegensatz zur Evolutionslehre verstand und die Ergebnisse der Naturwissenschaft zur Welt- und Lebensentstehung akzeptierte, schon immer das Problem, daß er von einem einmaligen, statischen aber nicht evolutionären Schöpfungsverständnis ausging. Dadurch wurde ein Gespräch mit den Naturwissenschaften schwierig. Können neuere Entwürfe und Überlegungen von Naturwissenschaftlern zur Evolution und physikalische Theorien zur Selbstorganisation der Materie bzw. die Chaostheorie ein Gespräch mit der Theologie in Gang bringen ? Oder machen die neueren Theorieansätze gar den christlichen Glauben überflüssig ? Was ist von theologischen Entwürfen zu halten, die versuchen, das neue Paradigma der Evolution als Selbstorganisation in ihrer Theologie zu verarbeiten?
4.1. Schöpfung und Evolution
(Thesen aus: Hoimar v.Ditfurth, Wir sind nicht nur von dieser Welt, dtv , 1984, 11.Aufl.1997)
H.v.Ditfurth, 1921 - 1989, Professor für Psychiatrie und Neurologie
1.Manche Aussagen der christlichen Theologie erscheinen nach Ditfurth heute antiquiert und ungeeignet für einen Dialog zwischen Naturwissenschaftlern und Theologen: die Rede vom Menschen als Krone der Schöpfung; der Glaube an einen Auferstehungsleib als eines übernatürlichen Phänomens; Jesus Christus als Inkarnation (Fleischwerdung) Gottes sei eine unverständliche Beschränkung des göttlichen Geistes auf einen Menschen; das statische Bild einer einmaligen Schöpfung stehe im Gegensatz zum Evolutionsgedanken der Naturwissenschaft. Der Mensch könne auch nicht ständig als zwischen Naturwissenschaft und Glaube gespaltener Mensch herumlaufen.
2.Ditfurth bietet von Seiten des Naturwissenschaftlers einen alternativen Entwurf einer „Theologie“ an, der Naturwissenschaft und Theologie verbinden, aber rein spekulativer Art sein soll. Grundthese: „Evolution ist der Augenblick der Schöpfung“. Zeit existiere nur in unseren menschlichen Gehirnen als mit Ausdehnung (Raum) verknüpft, eine transzendente Macht hätte demnach ein völlig anderes Zeitverständnis: von der Transzendenz aus sei die uns lange erscheinende Zeitdauer der Evolution nur ein Augenblick.
3.Die Evolution sei eine Folge einer lebendig gebliebenen Beziehung zwischen Welt und Transzendenz. Der Mensch sei in den Prozeß der Evolution mit einbezogen, d.h. er sei ein Wesen des Übergangs. Im Gehirn des Menschen bzw. seinem Geist vollziehe sich eine fortwährende Verwandlung der außerweltlichen Transzendenz in immer leistungsfähige „innerweltliche Transzendenz“ (=Immanenz). Es gebe im Kosmos weitere höhere Ebenen des Bewußtseins (Kugelparadigma). Die äußerste Hülle des höchsten Bewußtseins sei die objektive Wahrheit und Wirklichkeit schlechthin. In unserem Gehirn spiegele sich ein Reflex dieser jenseitigen Wirklichkeit. In unseren Gehirnen könnten noch weitere Areale entstehen, die weiter reichen könnten, als wir uns jetzt vorstellen . Im Endzustand verschmelze der Evolutionsprozeß allmählich mit der großen geistigen Transzendenz, die Ursache der Schöpfung war. Diesseitige Welt und jenseitiger göttlicher Geist gehen völlig ineinander auf. Es sei also legitim, vom „Jüngsten Tag“ zu reden. „Der Tag wird kommen, da es keinen Menschen, sondern nur den Gedanken geben wird“ (Bernard Shaw).
4.Diese Anschauung biete folgende Vorteile: Sie könne erklären, daß es das Böse (noch) gibt, denn die Welt befinde sich noch im Prozeß der Schöpfung und sei noch nicht vollkommen. Dieses könne auch ein Trost sein, denn die Welt werde immer vollkommener. Der Mensch sei an der Entwicklung zur Vollkommenheit hin mitbeteiligt, z.B. durch Forschung zur Linderung des Leidens bei Krankheiten und weitere geistige Entwicklung. Dadurch werde die Erlösung keine Weltflucht aus der Welt ins Jenseits, sondern Teilnahme an der Erlösung der Welt als Ganzem.
Beurteilung und Kritik:
Anzuerkennen ist, daß Ditfurth von Seiten der Naturwissenschaft dem christlichen Glauben entgegenkommen möchte und daß er - in bewußter Begrenzung seiner Überlegungen- von einem „rein spekulativen Entwurf“ spricht.
Ditfurth ist sich auch dessen bewußt, daß sein Entwurf nur schwer mit dem Glauben an Jesus als dem einen Christus vereinbar ist. Er bezeichnet diesen Glauben als „antiquiert“ und sieht ihn als nicht ausreichend an. Deshalb ist vom christlichen Standpunkt aus folgendes an Ditfurths Konzept zu kritisieren:
Der Mensch wird zum Erlöser seiner selbst. Er ist nicht mehr auf die Gnade Gottes oder auf die Orientierung an Jesus angewiesen
Ditfurth hat als Ziel einen eher geistigen Vollkommenheitsbegriff vom Menschen. Der christliche Glaube muß dagegen an seinem Menschenbild eines konkreten Menschen mit seiner Lebensgeschichte, der als irdischer Mensch von Gott auch mit seinen Schwächen angenommen wird, festhalten.
Die Hoffnung auf sich noch entwickelnde „neue Areale höheren Bewußtseins“ im menschlichen Gehirn muß vom christlichen Glauben aus als Flucht aus den Realitäten der Welt gesehen werden. So läßt sich dem Phänomen des Bösen auch nicht beikommen.
4.2. "Kult um das Chaos"
Chaostheorie: Theorie, derzufolge in unserem Universum das Chaos die Regel ist, während Ordnung Ausnahme ist. Strukturen entwickeln sich nicht rein zufällig, sondern in universaler Ähnlichkeit. Übergänge von Ordnung und Chaos werden an Computern simuliert.
Chaos ist nicht mehr die mythische Vorstellung vom gestaltlosen Zustand vor der Erdentstehung, kein reines Durcheinander. Die Wissenschaft findet, daß Chaos ein Ausflippen, Wirbeln und Toben sei, aber etwas, das sich dem Naturgesetz nicht entzieht => "deterministisches Chaos" = nur teilweise berechenbare Ordnung. Physikalisches Chaos ist alles, was sich unter Energieaufnahme aufbaut, bewegt und eigenständig fortpflanzt. Prigogine ist Nobelpreisträger für Chemie und der bedeutendste Chaosforscher überhaupt: sein Versuch ist es, Ordnung, ihre Entstehung und Aufrechterhaltung zu erklären => das sogenannte "Anti - Chaos ". Dem Menschen erscheint wie Zufall, was eigentlich gesetzmäßig abläuft. Bereits die Rundung einer Zahl weit hinter dem Komma genügt, Chaosmathematik in die Irre zu führen; daher zeigen Computerchaosbilder oft etwas völlig Falsches, was nur richtig aussieht.
Modellhafte Beispiele von Chaos:
1. Kaffee, Sahne dazugeben;
2. Rauch der Zigarette;
3. Wirbelbewegungen;
4. Planetenbahnen;
5. Bevölkerungskurven.
Schmetterlingseffekt von Edward Lorenz: ein Wirbelsturm, der sich womöglich aus dem Flügelschlag eines Insekts entwickelt hat.
Fazit: Jede Kleinigkeit kann mächtige Folgen nach sich ziehen. Chaos handelt von Unvorhersagbarkeit (im Gegensatz zum früheren deterministischen Weltbild: "Gott kennt die Anfangsbedingungen und alles ist vorhersagbar").
Fraktale sind geometrische Muster, z.B. fraktale Strukturen von Wolken, Gebirgen, Blumen, Nerven - diese Ähnlichkeit ist täuschend und künstlich.
Selbstähnlichkeit: Ein Baum verzweigt sich, immer kleinere Gabelungen sehen den größeren gleich, aus denen sie hervorgegangen sind. Im Ganzen herrscht "Selbstähnlichkeit" = wichtiges Merkmal des physikalischen Chaos.
Chaosforschung eröffnet der Wissenschaft ungeahnte Möglichkeiten und hat zu einem regelrechten Boom geführt, der aber auch an einen modischen Kult erinnert.
Anmerkung:
Mathematisch ist die Untersuchung der Fraktale außerordentlich ergiebig. Eine Welterklärungsabsicht liegt bei den Mathematikern primär gar nicht vor, sie freuen sich an der Schönheit der Strukturen. Das tun sie auch auf anderen Gebieten, nur ist diese Schönheit visualisierbar und damit auch Nichtmathematikern zugänglich. Diese neigen dann freilich leicht zu Schwärmereien. Lesen Sie in dieser Website die ausführlichen Erläuterungen, Erklärungen und Materialien zum Thema Chaos und Fraktale Haftendorn
4.3. Synergetik , Selbstorganisation und Prigogine
Der Synergetik ist es gelungen, bei Prozessen Effekte zu berechnen, die mit spontaner Strukturentstehung zusammenhängen (Selbstorganisation). Beispiel: eine flache Schale mit Öl wird von unten her erhitzt. Es bildet sich ein Temperaturgefälle zur kühleren Oberfläche, wobei bei gewissen Energiewerten "Benardzellen" entstehen. Die Art der entstehenden Strukturen kann man nicht voraussagen, sie beruhen auf Zufall ( Indeterminismen ). Der Synergetik gelang es, Strukturentstehung exakt zu berechnen, wobei aber der Zufall auch hier eine wichtige Rolle spielt. Die Eigentümlichkeit bei der Strukturentstehung erinnert an biologische Evolution. Der Unterschied zwischen Synergetik und Biologie besteht darin, daß die Synergetik ihre Modelle mathematisch berechnen kann, die Biologie aber nicht.
Prigogine versucht nun, alles theoretisch auf synergetische Prozesse zurückzuführen, wobei auch der Mensch zu einem synergetischen Phänomen wird => "Synergetik in der Synergetik", d.h. die Einheit des Menschen mit der Natur könnte so nachvollzogen werden. Diese Einheit zu beweisen war für die bisherige Physik unmöglich. Prigogine behauptet, daß der Synergetik dies gelinge, da das Leben das Resultat spontaner Selbstorganisationsprozesse sei. Prigogine spricht deshalb vom „Dialog des Menschen mit der Natur“, von „Spontaneität“ in der Materie usw. Dabei möchte er rein wissenschaftlich vorgehen und metaphysische oder theologische Deutungen vermeiden.
Kritik:
Man kann bei synergetischen Prozessen nicht von „Spontaneität“ sprechen, da hier der Bereich zur Metaphysik überschritten wäre. Physikalische Gesetze haben keinen anthropologischen Gehalt, sie stellen die Welt rein objektiv dar (Ausschluß von Subjektanalogien). Da die Welt aber gleichzeitig die Welt des Menschen ist, möchte Prigogine die objektive Sphäre physikalischer Gesetze in Beziehung mit der menschlichen Existenz setzen, wodurch die verwissenschaftlichte Natur als Natur für den Menschen gedeutet wird ( aristotelische Natur). Dieses geschieht bei Prigogine unbewußt über die Brücke der Sprache, wobei er über Physik hinausgegangen ist. Dadurch entwickelt er eine Naturmetaphysik, die nicht wirklich reflektiert und begründet wird. Die Kritik, die man an Prigogine anbringen könnte, wäre die, daß er Naturprozesse als Physiker mit menschlichen Kategorien deutet, wobei er gerade metaphysische und theologische Deutungen vermeiden will. Prigogine macht also metaphysische Extrapolationen, die Subjekt - Objekt - Spaltung wird aufgehoben ( alles ist auf Ganzheit ausgerichtet).
Desweiteren spricht Prigogine von einem "Dialog mit der Natur", der aber lediglich ein weltanschauliches Bedürfnis befriedigt, obwohl er durchaus wichtig ist.
4.4. Schöpfung und Autopoiese
Autopoiese (Selbstorganisation / Selbsterhaltung) bedeutet, dass sich eine Struktur oder ein System durch Energiezufuhr entweder selbst organisiert und sich in ihrer / seiner Art ( z. B. Struktur ) erhält, neue Strukturen oder sogar neues Leben bildet ( => spontan ). Daraus, dass die Natur sich selbst organisiert , folgt , dass auch der Mensch autopoietisch ist. Der Mensch ist der Natur also irgendwie ähnlich. Metaphysisch ließe sich daraus ableiten, dass der Mensch durch seine Ähnlichkeit mit der Natur nun in der Lage sei, einerseits diese zu respektieren und andererseits sich selbst zu berechnen.
Ist das System der Autopoiese vereinbar mit der christlichen Schöpfungsvorstellung?
Nach Nils Henrich Gregersen (dänischer Theologe) habe Gott die Dinge dazu gebracht, sich selbst zu machen und weiterzuentwickeln. Gott könne aber nicht in allen evolutiven Prozessen erkannt werden. Gott könne demnach nur in und mit den autopoietischen Prozessen , die „christusähnlich“ sind , sein und als solcher gedeutet werden und zwar als mitfühlender Gott, der am Schicksal (sowohl am Leid als auch an der Freude ) seiner Kreaturen teilnimmt. Er ist aber auch im Leiden und der Schwäche Jesu und in der Evolution (z. B. durch Gefühle , die als Warnsignale funktionieren und somit die Überlebenschance steigern und zeigen , wie vielfältig Gottes Schöpfung ist und deshalb er selbst => Respekt vor der Natur)
Gott ist nach Gregersen der Schöpfer, der selbstproduzierende Prozesse unterstützt und transformieren lässt.
Der katholische Theologe Alexandre Ganoczy:
Alexandre Ganoczy hat ein physikalisches
Chaosverständnis, das bedeutet, er nennt ein dynamisches System
chaotisch, wenn keine lineare Verkettungen von Ursachen zu erkennen
sind. Das Chaos sei nicht vorhersagbar, aber unterliege trotzdem
einer höheren Ordnung, wie z.B. das Wetter: es ist nicht lokal
vorhersehbar, global jedoch stabil. Auch bedeute Chaos in seinem
Sinne nicht Zerstörung einer Ordnung, sondern Anfang einer
Neuorientierung. Selbst in der Bibel sei das Chaos vertreten., jedoch
nicht als etwas Gotteswidriges, sondern als ein Neubeginn. Alexandre
Ganoczy bringt als Beispiel dafür die Schöpfungsgeschichte.
Am Anfang herrschte Chaos (Durcheinander), und aus diesem Chaos schuf
Gott die Erde. Das zeige, daß Unordnung nicht etwas von Gott
Ungewolltes sei, sondern ihn zur Kreativität verleite, denn
Gottes Verhalten sei selber nicht chaosfrei. Der Theologe ist auch
der Meinung, daß Gottes Geist für das Durcheinander
verantwortlich sei., während seine Weisheit immer wieder für
Ordnung sorge. Als Beispiel dafür könne man die Propheten
einsetzen. Sie lebten oft lange in der Ungewißheit, bevor Gott
sie aus diesem Chaos heraus führte. Alexandre Ganoczy ist also
der Auffassung, daß Chaos zur Neuorientierung notwendig ist.
Eine Bewertung dieser neuen theologischen Ansätze ist nicht einfach, da es keine genauen Kriterien gibt, was nun „göttliches Chaos“ oder Chaos als Katastrophe sein soll . Das gleiche gilt für „christusähnliche“ Prozesse in der Evolution. Zu fragen ist, ob die Identifikation Gottes mit den Leidenden der Stützung durch eine Beschäftigung mit der Synergetik bedarf.

Autoren: Jg. 13 (Abi99), Lehrer Gerhard Glombik Datum: Mai 99. Letzte Änderung am 25. Mai 2002
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