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Exposystem Johanneum zur EXPO 2000 Alphabetischer Index unten
Die Natur als Erfindung des Menschen
Naturauffassungen             

Glaube und Naturwissenschaft

fächerübergreifendes Projekt des Kurses Evangelische Religion Jahrgang 13 (Abi 99)

hierKursverlauf und Projektvorbereitung
1. Einordnung in das EXPO-Thema
2. Schöpfung und Natur in der Bibel
3. Glaube und/oder Wissenschaft?
4. Problemstellungen für Fächerübergreifende Gruppenarbeit
nahSchöpfung und Natur in anderen ReligionennahGoethes Farbentheologie nahQuantenphysik, Esoterik und Religion
nahEvolution, Chaos, Selbstorganisation und christlicher GlaubenahChristlicher Glaube und GentechniknahBewertung der Gruppenarbeit

1. Einordnung in das EXPO-Thema

Der evangelische Religionsunterricht hat seit einigen Jahrzehnten in hohem Maße immer schon „intern fächerübergreifend“ gearbeitet, da der christliche Glaube sich in der Welt bewähren muß; das heißt, er muß z.B. in Auseinandersetzung mit Politik, Staat, Gesellschaft und philosophischer Religionskritik treten und ethische Konsequenzen in vielen Lebensbereichen ziehen. Auch das altbekannte Thema „Glaube und Naturwissenschaft“ ist deshalb schon immer im Ansatz ein über die Fachgrenzen hinausweisendes Problemfeld gewesen. Die Natur wird im christlichen Glauben natürlich nicht als „Erfindung des Menschen“ angesehen, sondern Welt und Mensch werden religiös als „Erfindung“, d.h. „Schöpfung Gottes“ gedeutet. Der sich bewußt werdende Mensch hat also die Welt bereits vorgefunden und muß nun in eine Beziehung zu ihr treten. Diese Beziehung ist in der Bibel definiert durch eine herausgehobene Stellung und Aufgabe des Menschen als „Abbild Gottes“ und Verwalter der Erde (1.Mose 1,26-28). Obwohl er als Kreatur Gottes nur Teil der Natur und nicht ihr höchster Herr ist, kann er als einziges Lebewesen durch seine Fähigkeiten auch im Rahmen seines Auftrages erfinderisch und technologisch tätig werden und die Natur weiter bearbeiten. Allerdings lag die Entstehung einer vom Gottesglauben unabhängigen und methodisch atheistischen Naturwissenschaft noch nicht im gedanklichen Horizont der Verfasser der biblischen Schriften, so daß sich der Konflikt zwischen Glaube und Naturwissenschaft erst im 16./17. Jahrhundert anbahnte. Der inhaltliche Verlauf des Kurses Evangelische Religion Kl. 13,1 „Glaube und Naturwissenschaft“ , dem 13 Mädchen und 5 Jungen angehörten (1998/99), ging vom historischen Konflikt Galileis mit der katholischen Kirche aus. Die unterschiedlichen Methoden und Verstehensweisen von Naturwissenschaft und Glaube bzw. Theologie wurden anschließend analysiert und das Verständnis bis hin zur philosophischen Erkenntnis- und modernen Wissenschaftstheorie erweitert ( z.B. Hume, Kant und Poppers Kritischer Rationalismus).

2. Schöpfung und Natur in der Bibel

Bei der Auslegung der beiden biblischen Schöpfungserzählungen 1.Mose ( Genesis) Kap. 1 und 2 wurde unter Anwendung moderner historisch- kritischer Methoden der unterschiedliche religiöse und geschichtliche Hintergrund der Schöpfungsgeschichten deutlich. Beiden Darstellungen ist gemeinsam, daß sie sich entschieden gegen das naturreligiös- mythologische Verständnis von Schöpfung und Natur abgrenzten, das sie in ihrem damaligen religiösen Umfeld bei anderen Völkern vorfanden und als eine Herausforderung für den Jahweglauben ansahen. Obwohl die Menschen der damaligen Zeit mit Sicherheit an den faktischen Verlauf der Schöpfung, wie er in der Bibel beschrieben wird, glaubten, spielen doch die religiösen Aussagen über das Verhältnis Gottes zur Welt und zum Menschen die wichtigere Rolle. So fielen die faktischen Unterschiede in Gen 1 und 2, die hier nicht dargestellt werden können, damals kaum ins Gewicht, als beide Schöpfungsgeschichten problemlos aneinandergehängt wurden, obwohl sie in verschiedenen Zeiten entstanden waren.
Die ältere Schöpfungserzählung (Gen 2, 4b - 25), die von der Forschung dem „Jahwisten“ (9. Jht. v. Chr.) zugeschrieben wird, grenzt sich gegen den kanaanäischen Baalskult ab, in dem der Fruchtbarkeitsgott Baal sich alljährlich im Regen aufopfernd in die Erde hineinbegibt und die Natur, die nach der langen Sommerdürre wie tot darniederlag, wieder wachsen läßt. Baal, nun selbst vom Totengott gefangen , muß erst von der Göttin Anat und mit Hilfe von Stieropfern der Menschen erlöst und zu neuer himmlischer Schöpfungskraft erweckt werden. Der Jahwist beschreibt dagegen die Schöpfung des Paradieses durch den einen Gott Jahwe, der Feuchtigkeit aus der Erde aufsteigen ließ und sie so fruchtbar machte und den Menschen aus Erde formte. Gott, obwohl noch in anthropomorphen (menschenähnlichen) Zügen gezeichnet, steht als Handelnder souverän über der Natur. Der Mensch ist einerseits mit der Natur verbunden und ihr zugehörig (z.B. vergänglich) , aber auch mit der verantwortungsvollen Aufgabe der Sorge um das Paradies beauftragt. Mit dem Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies (Gen 3) deutet der Jahwist das menschliche Leben sehr nüchtern als Bruch der ursprünglichen Einheit mit der Natur, was harte Arbeit und andere Widrigkeiten des Lebens zur Folge hat. Der Mensch wird zu einem schuldfähigen Wesen (siehe den Brudermord in Gen 4) im Kontrast zur Baalsmythologie, wo es noch die Götter waren, die sich gegenseitig erschlugen. Die jüngere Schöpfungsgeschichte (Gen Kap.1, 1 - Kap. 2, 4a) , entstand nach Meinung der historisch- kritischen Forschung in der babylonischen Gefangenschaft (587- 536 v. Chr.) nach der großen Katastrophe der Eroberung Judas und der Zerstörung Jerusalems und des Tempels durch die Babylonier. Die fast aussichtslose Lage der jüdischen Gemeinde unter der Fremdherrschaft einer heidnischen Hochkultur und deren siegreicher Götter und eine andere geographische und kulturelle Umgebung erforderten neue Antworten seitens der jüdischen Priesterschaft. Das babylonische Weltbild als das damals bekannte „Wissen“ über den Kosmos wurde aus der babylonischen Mythologie, in der die Welt durch Götterkämpfe geschaffen wird, übernommen: z.B. die Schöpfung aus der Urflut des Urchaos durch Trennung und Scheidung der Naturgewalten und Lebensräume. Religiöser Glaube und naturkundliches „Wissen“ sind in der Mythologie noch nicht unterschieden. Alle Aussagen der biblischen Schöpfungserzählung Gen 1 könnten aber als „religiöses Abgrenzungswissen“ gegen die babylonische Mythologie verstanden werden. Gott ist transzendent (“über der Urflut“) gedacht, er ist souveräner Herr der Welt (keine Götterkämpfe, keine göttlichen Wirkkräfte in der Welt, Entgötterung der Welt). Durch Gottes Wort und Tat wird eine Ordnung in Raum und Zeit geschaffen, die Leben und Vertrauen ermöglicht. Es wird kein Platz für unberechenbare Chaosmächte mehr gelassen. Die Gestirne, von der Astrologie der Babylonier als schicksalbestimmende göttliche Mächte angesehen, werden ausdrücklich nach den Pflanzen geschaffen und als „Lampen“ am Himmelsfirmament bezeichnet, die nur noch leuchten und die Zeiten anzeigen sollen. Der Mensch wird verantwortlicher Partner Gottes (Gottesebenbildlichkeit des Menschen), eine Ermutigung und Aufwertung für den antiken Menschen in seiner technisch noch sehr beschränkten Auseinandersetzung mit den Naturgewalten. Das damalige „Wissen“ der Babylonier wird somit vollständig in den jüdischen Gottesglauben überführt. Der eine Gott „monopolisiert“ nun die Schöpfung und Erhaltung der Welt durch sein ordnendes Wort. Dieses Wort aber stellte gleichzeitig den Grund für die jüdische Hoffnung auf die Befreiung aus Gefangenschaft des „babylonischen Chaos“ dar, denn der Sabbat als eigentliche „Krone der Schöpfung“ diente dem Gedenken des eigentlichen Herrn der Welt und dem Lesen, Verstehen und Auslegung seines Wortes. Die Thora in ihrer damaligen Form, in der die Geschichte eines befreienden Gottes mit seinem Volk erzählt wurde (Exodus aus der Sklaverei Ägyptens), war das einzige, was den Juden nach der Katastrophe geblieben war. Die Thora als Gottes verläßliches Wort war in der babylonischen Gefangenschaft für die jüdische Gemeinde Sinnstiftung, Zusammenhalt, Identität, Stärkung, Ermutigung und Hoffnung auf Befreiung zugleich.
Schöpfung Für das biblische Schöpfungs- und Naturverständnis ergeben sich daraus Folgerungen: Die Bibel handelt nicht von einem Gott der mathematischen Naturgesetze. Der ganzen Bibel ist der Begriff des Naturgesetzes fremd. Gott ist der Schöpfer, der Ja zum Leben sagt, der deshalb Lebensräume und Leben erschafft, die Natur als unbegreifliches wunderbares Zeichen seines Wirkens erhält (vgl. Hiob 38-39) und der Zeit eine hoffnungsvolle Dimension gibt. Das Alte und Neue Testament bekunden ein völliges Desinteresse an der Erforschung oder Berechnung von Naturerscheinungen. Noch die Verkündung Jesu in den Gleichnissen, die von Natur handeln, und die Samenkorn-Metapher des Paulus in 1.Kor.15 , 36-38 sind geprägt vom Glauben an das geheimnisvolle Wirken und Handeln Gottes in der Natur. Die Themen der Bibel sind die Beziehungen zwischen Gott und Mensch, der Menschen untereinander, des Menschen zur Welt, ethische Normen, Gerechtigkeit, Schuld, Befreiung, Erlösung usw.

3. Glaube und/oder Wissenschaft ?

Die moderne Naturwissenschaft, die mit Galilei entstand , wuchs zwar kulturell gesehen auf dem Boden eines jüdisch- christlichen Glaubens (Entgötterung der Welt), benötigte aber das rationale Denken und systematische Fragen der griechischen Philosophie und der antiken Naturwissenschaft, die wiederum vom Christentum im Mittelalter tradiert und rezipiert wurden. Es bedurfte des Konfliktes zwischen Glaube und der neu entstehenden Naturwissenschaft im 16./17. Jahrhundert, um die verschiedenen Ebenen, Fragestellungen und Verstehensweisen zu klären, d.h. zu unterscheiden. Man könnte die Hypothese formulieren: das gleichzeitige Vorhandensein, aber auch die Konkurrenz, Abgrenzung, Trennung und Ausdifferenzierung von Religion, Philosophie und wissenschaftlichem Denken ermöglichten die Entstehung der modernen Naturwissenschaften in Europa. Christlicher Glaube und Theologie brauchten lange, um die Ergebnisse moderner Naturwissenschaft inklusive ihres methodischen Atheismus zu akzeptieren. Das Endstadium dieser Entwicklung bezeichnet man als „schiedlich-friedliche Trennung“ zwischen Glaube und Naturwissenschaft. Der Darwinismus wird aber von manchen Christen immer noch als Bedrohung empfunden (z.B. im Kreationismus). Die moderne Theologie hat dagegen schon lange selbst historisch- kritische Methoden übernommen und versteht sich damit als Wissenschaft, obwohl deren Erkenntnisse und ihre Folgen für den christlichen Glauben auch nicht von allen Christen nachvollzogen zu sein scheinen. Auch die Theologie kann methodisch Anleihen am Falsifikationsprinzip Poppers machen und auf diese Weise bereits geschehene unheilvolle Wirkungen der christlichen Religion aufdecken und in Zukunft vermeiden helfen (z.B. Hexenglaube, Antijudaismus in der Kirchengeschichte und im Neuen Testament usw.). „Prüft alles, behaltet das Gute !“ (1.Thess. 5, 21).

4. Problemstellungen für eine fächerübergreifende Gruppenarbeit

Weiterführende Fragestellungen ergaben sich aus folgenden Überlegungen: Immer schon gab es auch Kritik an der Naturwissenschaft, z.B. an ihrem „Materialismus“, an ihrer Abstraktheit und angeblicher Lebensferne, an ihrer als „Fachidiotie“ diskreditierten Spezialisierung usw. Im 20. Jahrhundert wuchs die Kritik wegen der ökologischen Folgen von Wissenschaft und Technik. Der Ruf nach einer „alternativen“ Naturwissenschaft wurde lauter, und man griff teilweise auf Goethes Naturanschauung zurück. Man begann , da man auch das Christentum für mitschuldig erklärte, nach ethischen Alternativen und Sichtweisen der Natur im Bereich anderer Religionen zu fragen. Die Erkenntnisse der Quantenphysik (1927 Heisenbergs Unschärferelation) führten zu Diskussionen über die Aussagekraft und Verläßlichkeit des naturwissenschaftlichen Weltbildes unter den Naturwissenschaftlern selbst. Diese Debatten wurden Anfang der 70'er Jahre verstärkt von „alternativen“ Theoretikern aufgegriffen und spielen bis heute in der Esoterik eine große Rolle. Neuere Theorien über Selbstorganisation , Chaos und Autopoiese gaben Anlaß, neu über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Philosophie bzw. Theologie nachzudenken. Für eine Auswahl aus diesen Problemfeldern bot sich eine fächerübergreifende Gruppenarbeit an. Gegen die Arbeitsform der Gruppenarbeit regte sich von vornherein Protest von Seiten einiger Schülerinnen und Schüler, die als Begründung angaben, von Gruppenarbeit „genug zu haben“ (dazu der Abschnitt III. „Bewertung der Gruppenarbeit“). Die fächerübergreifenden Aspekte wurden in diesem Kurs personell repräsentiert durch die Anwesenheit von Schülerinnen und Schülern, die in anderen Leistungskursen vertreten waren und so die nötigen Interessen und Kenntnisse in anderen Fächern mitbrachten: Lk Biologie , Lk Kunst, Lk Physik. Für das Thema „Quantenphysik“ hatte sich außerdem Herr Rode als Physiker zur Zusammenarbeit bereit erklärt. Die Ergebnisse der Schülerarbeitsgruppen bieten natürlich keine endgültigen Lösungen der Probleme, sondern sind Berichte von der Auseinandersetzung mit dem Thema.

Anmerkung:

Das ethische Thema der christlichen Schöpfungsverantwortung und ein Vergleich mit anderen philosophischen Entwürfen und Religionen wurde bereits in Kl. 12 mit dem Thema „Mensch - Tier - Natur“ im gleichen Kurs behandelt. So ist vielleicht zu erklären, daß ein Projektvorschlag „Christliche Schöpfungsverantwortung - ist der christliche Glaube zu anthropozentrisch ?“ von den Schülern/innen nicht mehr gewählt wurde.)

Gerhard Glombik im April 1999



obenAutoren: Jg. 13 (Abi99), Lehrer Gerhard Glombik   Datum: Mai  99. Letzte Änderung am 03. Februar 2000
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