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Die Natur als Erfindung des Menschen
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Wie Feuer und Wasser, oder?
Zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie

Ein Vortrag von Dr. Berthold Suchan
Ein ehemaliger Schüler des Johanneums, Abitur 1982


Dr. Berthold Suchan Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie
Das dualistische Wirklichkeitsverständnis
Kritik an der dualistischen Position
Das monistische Wirklichkeitsverständnis
Verhältnisbestimmung zwischen Naturwissenschaft und Theologie
Lebenslauf von Dr. Berthold Suchan
Ähnlich wie in der gymnasialen Oberstufe nach den gewählten Leistungskursen wird man während des Studiums oft nach dem jeweiligen Studienfach bzw. nach den jeweiligen Studienfächern gefragt. Deshalb wurde mir die Frage "Und was studierst Du?" häufig gestellt, und meine Antwort "Physik und Theologie" führte dabei zu ganz unterschiedlichen Reaktionen. Ich bekam drei verschiedene Typen von Entgegnungen: Reaktion eins bestand in einem irritierten "Ach, interessant", was darauf hindeutete, daß sich der Frager wenig unter den einzelnen Fächern und erst recht nichts unter dieser Fächerkombination vorstellen konnte. Vermutlich wäre er mit einer markanten Antwort meinerseits wie "Medizin", "Jura" oder "BWL" wesentlich zufriedener gewesen, und selbst die alleinige Antwort "Physik" hätte bei ihm vielleicht noch ein "Ach, das ist bestimmt schwer" hervorgerufen. Wie zu vermuten, war bei dieser Reaktion unser Gespräch über meine Fächerkombination schnell beendet. Der zweite Typus von Reaktion fiel etwas heftiger aus: "Was, Physik und Theologie, das geht doch gar nicht! Das widerspricht sich doch!" Hinter dieser Antwort stand also offensichtlich die Überzeugung, daß man in diesen beiden wissenschaftlichen Disziplinen - Physik einerseits und Theologie andererseits - nicht nur verschiedene, sondern sogar sich einander widersprechende Aussagen über ein und dieselbe Sache bzw. über die Wirklichkeit als ganze lernt. Wer sich auf solch eine Kombination einläßt, muß daran - wenn er nicht schon für, freundlich formuliert, "eigenwillig" gehalten wird - als denkender Mensch zerbrechen. Wenn ich dann nachfragte, warum denn mein Gesprächspartner zu dieser Einschätzung gelangt sei, entwickelte sich meist ein recht angeregtes Gespräch. Die dritte Reaktion war die ermutigendste: "Physik und Theologie - oh, das ist aber spannend; das hätte ich auch gerne gemacht. Das ist ja dann wie bei Carl Friedrich von Weizsäcker." An dieser Stelle war ich dann beschämt; denn mit Herrn von Weizsäcker konnte und kann ich mich nun wirklich nicht messen. Wie dieser Dialoganfang aber bereits andeutet, entwickelte sich im weiteren ein mutmachendes Gespräch, weil mein Gegenüber deutlich machte, daß es sich bei diesen beiden Wissenschaftsgebieten um wichtige und notwendige Disziplinen zur Erfassung der Gesamtwirklichkeit handelt. In dem Grenzbereich zwischen Naturwissenschaften und Theologie zu lernen und forschen, schienen offenbar einige Zeitgenossen für reizvoll und fruchtbar zu halten. Diese drei typischen Reaktionen, die ich Ihnen einleitend vorgestellt habe, werfen in ihrer jeweiligen Eigenart bereits ein Licht auf unsere Frage nach dem Verhältnis zwischen Physik und Theologie, bzw. allgemeiner: auf das Verhältnis zwischen Naturwissenschaften und Theologie. Hinter der ersten Reaktion steht ein allgemeines Desinteresse bis hin zur Ignoranz. Im zweiten Antworttypus tritt die Einschätzung eines von Spannung geprägten Verhältnisses hervor, und die letzte Einschätzung betrachtet dieses Verhältnis als Herausforderung gemäß dem Motto: "Es gibt viel zu tun, aber es lohnt sich." Bevor wir uns nun direkt einer Verhältnisbestimmung zwischen Naturwissenschaften und Theologie zuwenden, möchte ich meine Einleitung etwas verlängern und die Problematik unseres Themas noch etwas schärfer herausarbeiten. Ich gehe dazu einen halben Schritt zurück und frage ganz allgemein, warum man sich überhaupt mit einer Verhältnisbestimmung von Naturwissenschaft und Theologie befassen soll? Zu dieser Frage werde ich ihnen als Antwort nun drei Gründe vorstellen, die nicht nur die Motivation, sich dieser Thematik zu widmen, veranschaulichen, sondern auch unsere Problemstellung klarer konturieren sollen. Warum also kann eine Beschäftigung mit dem Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Theologie interessant sein?

Grund 1: Die Beschäftigung mit dem Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Theologie aus beruflichen Gründen.

Zunächst einmal stellt sich das Problem des Verhältnisses zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen für die Wissenschaftstheoretiker; also für diejenigen Forscher, die die verschiedenen Gegenstandsbereiche, die verschiedenen Erkenntniswege und die verschiedenen Vorgehensweisen der verschiedenen Wissenschaften untersuchen. Die Wissenschaftstheoretiker versuchen zu bestimmen, wie die einzelnen Wissenschaften arbeiten und welche Methoden sie anwenden. So spielen beispielsweise in der Literaturwissenschaft das Experiment und die Messung keinerlei Rolle, ganz im Gegensatz zur Psychologie, deren Forschungsalltag teilweise stark an den der Naturwissenschaften erinnert. Aufgabe der Wissenschaftstheorie ist es also herauszuarbeiten, worin sich auf einer meta-theoretischen Ebene die einzelnen Wissenschaften unterscheiden und worin sie sich gleichen. Dabei scheinen Naturwissenschaften und Theologie himmelweit getrennt, es scheinen gewissermaßen Welten zwischen ihnen zu liegen.

Grund 2: Die Beschäftigung mit dem Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Theologie aus einer anthropologischen bzw. psychologischen Perspektive

Wenn man sich als Wissenschaftler aus der Sicht der Anthropologie - also aus der Sicht derjenigen Wissenschaft, die sich mit den Eigenschaften und dem Wesen des Menschlichen befaßt - unserem Thema widmet; wenn man also als Anthropologe oder auch als Psychologe an die beiden wissenschaftlichen Gebiete der Naturwissenschaften und der Theologie herangeht, dann steht vor allem folgende Frage im Vordergrund: Warum betreiben Menschen diese Wissenschaften, bzw. etwas allgemeiner: Was im Menschen bewirkt eigentlich, daß er sich sowohl in einer (im weitesten Sinne) wissenschaftlichen Weise der Welt zuwendet als auch offensichtlich an eine religiöse Dimension gebunden glaubt, die jenseits der sichtbaren Welt liegt. In diesem Kontext tritt eine Position auf, auf die ich später noch zurückkommen werde und deretwegen ich diesen zweiten Grund anführe. Diese Position besteht in der Überzeugung, alle religiösen Phänomene der Menschheit ohne die Existenz einer wie auch immmer gearteten Gottheit erklären zu können. In der Vergangenheit hat beispielsweise Ludwig Feuerbach die These vertreten, daß die Eigenschaften Gottes lediglich Projektionen menschlicher Eigenschaften seien, in denen der unvollkommene Mensch seinen unerfüllten Wunsch nach Vollkommenheit zum Ausdruck bringe. Letztlich verkörpere Gott nur das Idealbild eines vollkommenen Menschen; ein Zusammenhang, über den der Mensch aufgeklärt und aus dem er zum wahren, von diesem scheinbaren Gott unabhängigen Menschsein befreit werden müsse, so Feuerbach. Für unser Thema wesentlich ist bei dieser Begründung der grundlegende Ansatz, religiöse Phänomene im Rahmen einer wissenschaftlichen Beschreibung - sei diese anthropologisch, psychologisch oder philosophisch - erklären zu wollen, wie es das Beispiels Feuerbachs zeigt oder in der modernen Diskussion die Disziplin der Soziobiologie versucht. Ich komme nun zum dritten Grund, warum eine Verhältnisbestimmung von Theologie und Naturwissenschaften interessant, reizvoll oder sogar notwendig sein kann.

Grund 3: Die Beschäftigung mit dem Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Theologie aus existentiellen Gründen

Im Kulturkreis unseres - im weitesten Sinne des Wortes - christlichen Abendlandes fühlen sich viele Menschen emotional, durch Erziehung bedingt oder aufgrund besonderer Erfahrungen religiös gebunden - und zwar christlich religiös. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, daß ich im Laufe meiner Ausführungen stets die christliche Religion meine, wenn ich explizit oder auch implizit von Religion spreche. Dabei hat eine Untergliederung der christlichen Religion in unterschiedliche Kirchen bzw. in unterschiedliche Konfessionen in unserem Kontext keine weitere Bedeutung. Wenn wir also davon ausgehen, daß sich auch heute noch viele Menschen in unserem Kulturkreis der christlichen Religion zuhörig fühlen und der allergrößte Teil der bundesdeutschen Bevölkerung an einen Gott glaubt, dann wird es unter diesen Menschen sicherlich einige sensible geben, die sich fragen, wie denn die Bereiche des Religiösen und des Wissenschaftlichen aufeinander zu beziehen sind. Eventuell empfinden diese Menschen sogar Widersprüchlichkeiten, wenn sie sich vergegenwärtigen, welche Inhalte ihres religiösen Glaubens und welche Aussagen ihrer wissenschaftlichen Überzeugungen sie für wahr bzw. für glaubhaft halten. Ein "beliebter" Konfliktbereich in diesem Zusammenhang ist die Gegenüberstellung von christlichen Schöpfungsberichten, wie sie im ersten Buch des Alten Testamentes niedergeschrieben sind, und dem theoretischen Gebäude der modernen Kosmologie, dessen Weltentstehungsmodell kurz mit dem zwar mißverständlichen, aber eingebürgerten Begriff "Urknall" wiedergegeben wird. Wir werden auf diesen Konfliktbereich später zurückkommen. Entscheidend für diese dritte, von mir als existentiell bezeichnete Begründung, sich mit dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie zu befassen, ist der innere, eben der existentielle Wunsch des einzelnen, beide Aspekte seines Menschseins zu harmonisieren. Ich möchte den einen Aspekt einmal den emotional-religiösen und den anderen den wissenschaftlich-rationalen Aspekt nennen. Viele Menschen sehen in diesen beiden Aspekten ihres Menschseins, in diesen beiden Dimensionen ihrer Existenz einen Widerspruch bzw. ein spannungsgeladenes Verhältnis, das sie beunruhigt. Deshalb suchen sie, wenn sie sich in einer ruhigen Minute mit diesem Bestandteil ihres Lebens auseinandersetzen, nach einer Lösung, nach einem Ausgleich dieses Problems. Die drei soeben vorgestellten Gründe, sich mit dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie zu beschäftigen, haben beispielhaft illustriert, unter welchen Fragestellungen man sich unserer heutigen Thematik nähern kann. Sicherlich gibt es noch andere Motivationen, sich über Gott und Welt, über Religion und Wissenschaft sowie über deren jeweilige Beziehungen zueinander Gedanken zu machen. Aber vielleicht haben Ihnen die genannten Gründe deutlicher werden lassen, worin die Problematik der Verhältnisbestimmung von Theologie und Naturwissenschaft besteht, und zwar nicht nur in abstrakt wissenschaftlicher Sicht, sondern in unmittelbar persönlicher Sicht.

Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie

oben
Nach dieser etwas längeren Hinführung möchte ich Ihnen im nun folgenden Hauptteil einige Überlegungen zu unserem Thema vorstellen und Sie einladen, einen Versuch zur Bestimmung des Verhältnisses von Naturwissenschaft und Theologie gemeinsam nachzuvollziehen. Der Ausgangspunkt ist dabei ein Problem, das sich im Gespräch zwischen Naturwissenschaften und Theologie ganz grundsätzlich stellt. Und zwar besteht dieses Problem in den Voraussetzungen, die die Menschen hinsichtlich der Wirklichkeitsbereiche machen, denen sie religiöse Phänomene einerseits und wissenschaftliche Phänomene andererseits zuordnen. Was diese Zuordnung von Phänomenen zu Wirklichkeitsbereichen heißt, wird im weiteren deutlicher, aber ich möchte dies bereits jetzt an einem Beispiel andeuten: Menschen werden das Gefühl, das sie beim Hören einer Bach-Kantate erleben, anders in ihre "Wirklichkeit" einordnen als die Kernfusionsreaktion in Innern unserer Sonne. Weil man - wenn man es genau bedenkt oder wenn man Wissenschaft betreibt - alle Ereignisse der Welt auf die eben angedeutete Weise bestimmten Wirklichkeitsbereichen zuordnen kann, versucht man dies eben auch für religiöse und wissenschaftliche Ereignisse. Wenn man sich nun auf verschiedene Wirklichkeitsbereiche bezieht und deren Eigenschaften untersucht, dann befindet man sich in einem Bereich der Philosophie, der als Ontologie bezeichnet wird. Unter Ontologie versteht man im weitesten Sinne die Lehre von dem, was wirklich ist, also - vorsichtig gesprochen - die Lehre von den angesprochenen Wirklichkeitsbereichen. Als Ausgangspunkt zur Untersuchung des Verhältnisses von Theologie und Naturwissenschaften hatten wir oben die Voraussetzungen gewählt, nach denen Menschen die Phänomene der Welt bestimmten Wirklichkeitsbereichen zuordnen. Und vieles von dem, was ich eingangs an Konfliktpotential zwischen diesen beiden Wissenschaftsgebieten genannt habe, wird verständlich, wenn man nun die zugrundeliegenden Wirklichkeitsbereiche betrachtet. Das umstrittene Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft soll im folgenden also durch seine Rückführung auf diese Bereiche der Wirklichkeit skizziert und bestimmt werden. Unter Zuhilfenahme der eben eingeführten Terminologie heißt das, daß wir die ontologischen Grundlagen dieses Verhältnisses betrachten. Klassisch unterscheidet man zwischen einem monistischen und einem dualistischen Verständnis der Wirklichkeit, also in der philosophischen Sprechweise zwischen monistischen und dualistischen Ontologien. Diese erste, prinzipielle Unterscheidung zwischen der monistischen und der dualistischen Perspektive geht von landläufigen, unreflektierten Urteilen zum Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft aus: In einem monistischen Verständnis der Wirklichkeit ist beispielsweise die ganze Welt "voller Götter"; es herrscht eine ganzheitliche Sichtweise vor, in der Natur manifestiert sich eine göttliche Macht, die Naturgesetze offenbaren die "Gedanken Gottes". Dagegen sehen sich Vertreter einer dualistischen Auffassung als "Bürger zweier Welten"; Glaube und Wissen kennzeichnen in diesem dualistischen Kontext zwei ganz unterschiedliche Wirklichkeitserfahrungen. Die religiöse Dimension des Menschseins ist von dessen wissenschaftlicher abgekoppelt. Schon dieser Rückgriff auf alltägliche Meinungen zum Verhältnis von Religion und Wissenschaft zeigt, daß die im folgenden skizzierten Positionen nicht insofern extrem sind, als nur einige wenige Menschen sie vertreten. Vielmehr lassen sich die in der Diskussion geäußerten Überzeugungen meistens einer der beiden Grundpositionen zuordnen, die ich nun vorstellen möchte. Ich komme damit zum ersten Abschnitt meines Hauptteiles; und damit Sie sich einen Überblick über dessen Struktur verschaffen können, skizziere ich kurz die Inhalte seiner insgesamt vier Abschnitte, die allesamt nicht allzu lang sind. Im ersten Abschnitt stelle ich Ihnen als erste Grundposition das dualistische Wirklichkeitsverständnis vor, das ich in Abschnitt zwei dann kritisieren werde. Das monistische Wirklichkeitsverständnis bildet Abschnitt drei, und der Hauptteil wird mit einer positiven Verhältnisbestimmung zwischen Naturwissenschaft und Theologie mit dem vierten Abschnitt abgeschlossen.

Das dualistische Wirklichkeitsverständnis

oben In einem dualistischen Wirklichkeitsverständnis existieren - zumindest in unserem Kontext - zwei Wirklichkeitsbereiche, die prinzipiell voneinander getrennt sind. Dies bedeutet, daß man alles Seiende bzw. alle Ereignisse in der Welt in zwei ganz unterschiedliche Kategorien einteilen kann. Mit dieser Position werden sowohl die Möglichkeit als auch der wissenschaftliche Anspruch verknüpft, alle Ereignisse auf die Wirkungen zweier (sich evtl. sogar einander ausschließender) sogenannter Subtanzen zurückführen zu können. Die Rede von zwei Substanzen bedeutet, daß es zwei ihrem Wesen nach ganz unterschiedliche Dinge in der Welt gibt. Dabei ist die Existenz von Substanzen notwendig mit der Existenz von Eigenschaften verknüpft, die diesen Substanzen zukommen. Als klassisches Beispiel für eine derartige dualistische Position gilt die Auffassung eines Leib-Seele-Dualismus von René Descartes bzw. des Dualismus von Körper und Geist. Dieses Beispiel des cartesianischen Materie-Geist-Dualismus bedeutet, daß man alle Ereignisse in der Wirklichkeit entweder materiellen oder geistigen Phänomenen zuordnen kann. Als Konsequenz dieser Auffassung zerfällt die Wirklichkeit in zwei Bereiche, in denen ganz verschiedene Gesetzmäßigkeiten gelten. Beide Bereiche stehen in keinem kausalem Zusammenhang, Ereignisse in einem Bereich haben keine Auswirkungen in dem anderen Bereich. Entsprechend diesen unterschiedlichen Charakteristika der verschiedenen Wirklichkeitsbereiche existieren auch ganz unterschiedliche Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen, wenn es um eine Erkenntnis dieser Wirklichkeitsbereiche geht. Welche Auswirkungen diese Unterscheidung im Rahmen der dualistischen Position hat, expliziere ich exemplarisch an der Verwendung des Begriffes "Wahrheit", wie er in der Regel den Aussagen über einzelne Sachverhalte zugeordnet wird: Die Rede von der Wahrheit, die sich in der Person Jesu Christi offenbart (Joh 14,6), ist offensichtlich eine andere, als wenn von der Wahrheit beispielsweise der Allgemeinen Relativitätstheorie gesprochen wird. Was heißt das? Im allgemeinen setzen die Naturwissenschaften die Position eines hypothetischen Realismus voraus, dem gemäß Theorien und Gesetze die Vorgänge in der Natur solange adäquat beschreiben, bis sie aufgrund von Widersprüchen mit dem Experiment durch neue Theorien abgelöst werden, die die Phänomene besser dann beschreiben. Auch wenn die meisten religiösen Positionen und theologischen Aussagen zeitbedingten und wandelbaren Charakter haben, gibt es gerade in diesem Bereich letztgültige Wahrheiten. Niemand wird beispielsweise den Vorschlag unterbreiten, daß in Zukunft von der Wesensgleichheit des Heiligen Geistes gegenüber den beiden anderen göttlichen Personen Abstand genommen werden müsse. Wenn man sich nun die Grenzen unserer Erkenntnis im Rahmen einer dualistischen Betrachtungsweise der Wirklichkeit deutlich macht, so zeigt sich dabei einerseits noch einmal die unterschiedliche Bedeutung von "Wahrheit", andererseits manifestieren sich in diesen Erkenntnisgrenzen die Eigenheiten von Wissen und Glauben, von Wissenschaft und Offenbarung. Wie sehen diese Erkenntnisgrenzen im einzelnen aus? Die Erkennbarkeit der Natur ist in den Naturwissenschaften durch erkennbare Gesetze begrenzt, d.h. die Grenzen der Erkenntnis sind wiederum einer naturwissenschaftlichen Beschreibung grundsätzlich zugänglich. Hinsichtlich der Erkennbarkeit Gottes jedoch sind die Grenzen durch die Person Gottes selbst gegeben; d.h. letztlich wird Gott als ein Mysterium verstanden, das nur im Lebensvollzug, der den einzelnen Menschen in seiner Ganzheit umfaßt, Bedeutung erlangt. Diese erkenntnistheoretischen Grundlagen spiegeln sich auch auf der Ebene wider, auf der über die Forschungspraxis in den beiden Wissenschaftsbereichen nachgedacht wird: Im dualistischen Kontext gibt es zu den beiden verschiedenen Welten grundsätzlich verschiedene Zugangsweisen: Während naturwissenschaftliche Erkenntnis in erster Linie durch kreative Schöpfungen des menschlichen Geistes verbunden mit experimenteller Forschung erlangt wird, ist religiöse Erkenntnis bzw. die Erkenntnis Gottes durch die Selbstoffenbarung Gottes bestimmt. Eine "Begegnung" mit dem Göttlichen ereignet sich meist in Gebet, Gottesdienst, Meditation, mystischer Schau etc. Ein wesentliches Charakteristikum dieses Erkenntnisweges besteht darin, daß er intersubjektiv nicht vollständig rational vermittelbar ist. Dieser kurz skizzierte Dualismus spiegelt sich auch in einem allgemeinen Prinzip, das der bedeutendste katholische Theologe dieses Jahrhunderts, Karl Rahner, wie folgt formuliert hat: "Theologie und Naturwissenschaft können grundsätzlich nicht in einen Widerspruch untereinander geraten, weil beide sich von vornherein in ihrem Gegenstandsbereich und ihrer Methode unterscheiden." Für das tägliche Leben der meisten Menschen geht diese dualistische Sicht der Wirklichkeit einher mit der Beheimatung in einer der beiden Welten. Für die in der Forschung Tätigen bedeutet dies, daß typischerweise der Naturwissenschaftler die Rede vom Göttlichen für unklar und schwammig hält, wohingegen der Theologe in der naturwissenschaftlichen Forschung nichts Wesentliches thematisiert sieht und ihm die Frage nach dem Sinn fehlt. Eine diesem Prinzip entsprechende Position hat auch der berühmte Physiker Faraday vertreten. In einer Anekdote wird davon berichtet, daß in Faradays Wohnung das Labor und das Betzimmer sich direkt nebeneinander befanden und man durch eine Tür von einem Raum in den anderen gelangen konnte. Faraday habe aber streng darauf geachtet, beide Räume als völlig voneinander getrennt anzusehen, und er habe die Verbindungstür zwischen seinem Labor und seinem Betzimmer immer gründlich verschlossen, wenn er sich der Forschung oder dem Gebet gewidmet habe. Wir wollen noch einmal einen Blick auf die Beheimatung des Menschen in einer dieser beiden Welten im Rahmen der dualistischen Wirklichkeitsauffassung werfen: Die wissenschaftliche Heimat des Menschen ist charakterisiert durch Terme wie Objektivität, Experiment, Logik, Intersubjektivität, Theorie, Methode, Gesetzesartigkeit, Kausalität; wohingegen die religiöse Heimat bestimmt ist durch Begriffe bzw. Werte wie Personalität, Sinn, Subjektivität, Vertrauen, Beziehung, Liebe, Schuld. Entsprechend der oben skizzierten Unterscheidung hinsichtlich der Wahrheiten kann man demnach davon sprechen, daß im Bereich des Glaubens eine grundsätzlich andere Wahrheit gilt als in der wissenschaftlichen Welt. Somit ist die dualistische Sicht der Wirklichkeit wie folgt zu charakterisierbar: "Beide Bereiche trennt daher ein Abgrund voneinander, der von keiner Seite aus überwindbar ist." Der Vorteil dieser dualistischen Sicht der Wirklichkeit, d.h. der strikten Trennung von Naturwissenschaft und Theologie, liegt auf der Hand: Es gibt keine Konflikte zwischen den Disziplinen. Die Zuständigkeitsbereiche sind klar voneinander abgegrenzt. Die saubere Trennung gewährleistet, daß Grenzüberschreitungen oder gar die Anwendung des wissenschaftlichen Instrumentariums des einen Bereichs auf den anderen nicht vorkommen können. So ist beispielsweise eine Kausalanalyse des Heilshandelns Gottes ein prinzipiell unzulässiges Ansinnen. Ein Verstehen der Wunder Jesu ist nur im Kontext bzw. nur unter der Voraussetzung einer gläubigen Annahme der Offenbarung Gottes möglich. Als Konsequenz einer dualistischen Trennung der Wirklichkeitsbereiche wird damit eine prinzipiell verschiedene Bedeutung von "Verstehen" und "Wahrheit" gesetzt, die nicht auf den jeweils anderen Wirklichkeitsbereich übertragbar ist. Wenn Sie sich an meinen zweiten Gesprächspartner-Typus erinnern, den ich eingangs skizziert habe, dann wäre dessen vermutetes Konfliktpotential hinsichtlich des Verhältnisses von Naturwissenschaft und Theologie entschärft, wenn er dieser dualistischen Position anhinge. Denn in dieser Position können zwei zentrale Probleme, die im Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften immer wieder umstritten sind, einfach gelöst werden. Sie betreffen einen theoretischen und einen anthropologischen Aspekt: 1. Wie das obenstehende Rahner-Zitat zeigt, basieren alle (historischen und aktuellen) Widersprüche und Dissonanzen zwischen den beiden Wissenschaftsbereichen auf einer unsauberen Trennung der beiden Wirklichkeitsbereiche - oder anders formuliert: aus (unzulässigen) Grenzüberschreitungen resultieren Scheinprobleme. Denken Sie dabei an den Prozeß Galileo Galileis, der in einem dualistischen Kontext keinerlei Brisanz erhalten hätte, weil beide Parteien über prinzipiell andere Wirklichkeitsbereiche gesprochen hätten. 2. Die neuzeitliche Gefahr, den Menschen aus der Sicht der Naturwissenschaften einseitig als Objekt zu verstehen, ergibt sich als Folge des oben erwähnten cartesianischen Dualismus aus der Verkennung des zweiten (subjektiv bzw. geistig bestimmten) Wirklichkeitsbereiches. Eine dualistische Auffassung der Wirklichkeit im allgemeinen und des Verhältnisses von Naturwissenschaften und Theologie im besonderen bietet ein geeignetes Argumentationspotential, um einer ausschließlichen Verobjektivierung des Menschen entgegenzuwirken, um den Menschen als Person und nicht als entfremdeten Gegenstand der Wissenschaft zu verstehen.

Kritik an der dualistischen Position

oben Die folgende Kritik an einer dualistischen Sicht der Wirklichkeit bildet die Überleitung zur Darstellung der monistischen Alternative. Unter vielen möglichen greife ich - analog zu den eben geschilderten Vorteilen einer dualistischen Wirklichkeitsauffassung - zwei für unsere Diskussion wichtige Kritikpunkte heraus: einen theoretischen und einen anthropologischen (bzw. existentiellen):

Kritikpunkt 1:

Offensichtlich existieren diejenigen Elemente bzw. Bereiche der Wirklichkeit, die in der Darstellung der dualistischen Alternative genannt worden sind . Für den Verteidiger einer dualistischen Sicht der Wirklichkeit ergibt sich damit stets das Problem, in welcher Beziehung die beiden Bereiche zueinander stehen. Leugnet er jegliche Wechselwirkungen, dann muß er die Idee einer einheitlichen Welt aufgeben. Dies erscheint sowohl im Rahmen der wissenschaftlichen Weltbeschreibung als auch in einer religiösen Weltsicht in hohem Maße unbefriedigend.

Kritikpunkt 2:

Grundsätzlich besteht für Menschen die Möglichkeit, sich in beiden oben genannten Welten gleichermaßen heimisch zu fühlen, wie das Leben vieler Menschen eindeutig zeigt. Je nach Erziehung, Weltanschauung und Ausbildung entscheiden sich die meisten (oftmals unbewußt) für ein Leben in einer der beiden Welten. Dies erfolgt meist aus der Schwierigkeit heraus, die beiden Welten sowohl emotional als auch theoretisch, in der Reflexion, aufeinander zu beziehen. Unbeschadet dieser Problematik besitzt der Mensch also offensichtlich die Fähigkeit, in den verschiedenen Bereichen der Wirklichkeit Erfahrungen zu machen, zu denken, zu forschen und zu leben. Indem der Mensch selber die Schnittstelle zwischen diesen Bereichen besetzt, bildet er das entscheidende Argument gegen die These, daß eine Beziehung zwischen den beiden Wirklichkeitsbereichen nicht existiere. Ich möchte sogar noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, daß der Mensch diese Schnittstelle überhaupt erst ausmacht und damit definiert. Ich stelle jetzt noch ein weiteres Argument gegen eine dualistische Sicht der Wirklichkeit vor, das allerdings nicht denselben Grad der Allgemeingültigkeit beanspruchen kann wie die beiden oben skizzierten. Es handelt sich um ein theologisches, im engeren Sinne um ein biblisches Argument. Aber es gewinnt deshalb in der Diskussion um das Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie an Gewicht, weil dessen Problematik am stärksten diejenigen Menschen betrifft, die sich religiös gebunden fühlen. Erinnern Sie sich dabei an den eingangs genannten dritten, an den existentiellen Grund dafür, sich über das Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Theologie Gedanken zu machen. Für den Agnostiker oder Atheisten dagegen hat eine religiöse Argumentation kaum Relevanz, er ist aber von dem hier vorgestellten Konflikt auch nicht existentiell betroffen. Zurück zum konkreten Argument. In der Bibel und in der gesamten kirchlichen Tradition wird der Kosmos als Schöpfung Gottes verstanden. Die Tatsache, daß der Mensch die Welt als eine Einheit erfährt und erlebt, wird hier, also in der Bibel und in der Kirche, religiös reflektiert und in Beziehung zu der Selbstoffenbarung Gottes gesetzt. Und dieses Verständnis der Einheit der Welt als Schöpfung findet sich in allen christlichen Kirchen und Konfessionen. Insofern ist sogar aus einer religiösen Position heraus ein Verhalten, wie es Faraday zugeschrieben wird, zumindest in diesem Punkte unchristlich und eine Flucht vor einer Klärung des zugegebenermaßen äußerst schwierigen Verhältnisses von Glaube und Wissen. Nach dieser Kritik an dem dualistischen Wirklichkeitsverständnis komme ich nun zu einer monistischen Auffassung der Wirklichkeit.

Das monistische Wirklichkeitsverständnis

oben Aus den drei angeführten Argumenten gegen das dualistische Verständnis der Wirklichkeit ergibt sich, daß nur eine Wirklichkeitsauffassung vielversprechend zur Beschreibung der Welt ist, die - klassisch gesprochen - von einer einzigen Substanz ausgeht. Denn nur bei dieser Position existieren grundsätzlich Beziehungen zwischen den verschiedenen Bereichen der Wirklichkeit, und die Aufgabe der Wissenschaft besteht darin, diese Zusammenhänge aufzudecken, die Verhältnisse der einzelnen Wirklichkeitsbereiche zueinander zu klären und nach den zugrundeliegenden Mechanismen des Weltgeschehens zu suchen. Und dies gilt eben auch oder ganz besonders für das von uns hier thematisierte Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Theologie. Es ist allerdings unbestritten, daß sich die Methoden von Theologie und Naturwissenschaften sehr unterscheiden. Es ist ein Unterschied, was es heißt, ein mittelhochdeutsches Gebet zu verstehen oder eine Nebelkammer-Aufnahme von ionisierten Teilchen zu verstehen. Die verschiedenen Zugänge zu den verschiedenen Bereichen der Wirklichkeit stellen die wesentlichen Probleme dar, die die monistische Ps Konfliktes ebenso wenig stellen wie die dualistische Alternative, die ich oben mit dem "Leben in zwei Welten" charakterisiert habe. Im folgenden stelle ich kurz die beiden Extrempositionen vor, die m.E. eine zu kurz greifende und unbefriedigende Bestimmung des Verhältnisses von Naturwissenschaft und Theologie liefern. 1. Die extreme wissenschaftliche Sicht. Nach Ansicht der meisten Naturwissenschaftler gehen religiöse Erfahrungen nicht auf eine Quelle zurück, die sich nicht grundsätzlich mithilfe der Naturwissenschaften erfassen, erklären und verstehen ließe. D.h. alle religiösen Phänomene sind im Rahmen von wissenschaftlichen Erklärungen grundsätzlich verstehbar - so z.B. im Rahmen der Soziobiologie. Theologische Aussagen stehen damit in einem Erklärungsrahmen für Phänomene, die heute durch naturwissenschaftliche Theorien besser zu erklären sind. Sie hatten Berechtigung zu einer Zeit, als die Reichweite naturwissenschaftlicher Ansätze deutlich geringer war. Deshalb resultieren Konflikte zwischen Theologie und Naturwissenschaft daraus, daß theologische Positionen unabhängig vom Stand der naturwissenschaftlichen Forschung fälschlicherweise noch immer aufrechterhalten werden. Letztlich und eigentlich jedoch sind Religion und Theologie überwunden; lediglich einer vergleichenden Religionswissenschaft kann man noch im Rahmen der Anthropologie eine Existenzberechtigung zusprechen. 2. Die extreme religiöse Sicht. Auf der anderen Seite wird - vor allem von religiösen Fundamentalisten - die religiöse Wahrheit als derjenige Maßstab vorgestellt, an dem jede naturwissenschaftliche Erkenntnis gemessen werden muß. So heißt es in einem Faltblatt der fundamentalistisch orientierten Studiengemeinschaft "Wort und Wissen", die sich der Beziehung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und biblischem Glauben widmet: "Die Bibel ist in ihrer Gesamtheit das von Gott eingegebene Wort (2.Tim. 3,16), das [...] in allen dargelegten geschichtlichen und wissenschaftlichen Aussagen wahr ist." Daß sich naturwissenschaftliche Erkenntnis am Maßstab des Glaubens zu messen hat, zeigt vor allem immer wieder neu die Diskussion über die Wahrheit der Evolutionstheorie. In der Folge wird einerseits jede wissenschaftliche Entdeckung, die in das Weltbild der Bibel oder in deren theologische Interpretation paßt, als Bestätigung einer von Gott offenbarten Wahrheit verstanden, die für alle Lebensbereiche gilt. Ebenso führt andererseits diese Haltung dazu, daß wissenschaftliche Erkenntnisse, die die genannten Bedingungen nicht erfüllen, aus biblischer oder kirchlicher Autorität heraus als falsch bezeichnet werden. Diese beiden kurz skizzierten Extrempositionen gleichen sich insofern, daß Methoden und Erkenntniswege, die sich in einem Bereich der Wirklichkeit offensichtlich oder scheinbar bewährt haben, auf alle anderen Bereiche übertragen und mit meist inadäquaten Kategorien beurteilt werden. Ein Dialog kommt nicht zustande. Natürlich wäre einer der beiden Positionen zuzustimmen, wenn wir die letzte und endgültige Wahrheit entweder durch Offenbarung oder durch naturwissenschaftliche Forschung vollständig erhalten könnten. Doch zur Zeit spricht nichts dafür. Und damit komme ich zum vierten und letzten Abschnitt des Hauptteils, in dem ich - ausgehend von den Überlegungen zum dualistischen und zum monistischen Wirklichkeitsverständnis - nun eine Verhältnisbestimmung von Naturwissenschaft und Theologie darlege.

Verhältnisbestimmung zwischen Naturwissenschaft und Theologieoben

Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, daß beide wissenschaftlichen Disziplinen, Theologie und Naturwissenschaften, zur Beschreibung einer einheitlich verstandenen Wirklichkeit notwendig sind und ihren je eigenen Beitrag zum Verständnis der Welt leisten. Es stellt sich also abschließend die Frage, wie diese beiden Disziplinen aufeinander zu beziehen sind, bzw. in welchem Verhältnis der religiöse und der wissenschaftliche Bereich einer einheitlichen Wirklichkeit zueinander stehen. Neben dem oben angeführten anthropologischen Argument (erinnern Sie sich an den Menschen als Schnittstelle zwischen den beiden Wirklichkeitsbereichen) zeige ich im folgenden an zwei weiteren Argumenten die Wechselwirkung zwischen dem religiösen und dem wissenschaftlichen Bereich. 1. Den Anspruch Gottes, den die Menschen erfahren, und sein Heilshandeln, das ihnen zuteil wird, reflektieren die Menschen im Horizont ihrer natürlichen, kulturellen und geistigen Umwelt. In die biblischen und kirchlichen Texte wird deshalb stets auch das naturkundliche Wissen der jeweiligen Zeit integriert. Zur Formulierung und Verkündigung der ergangenen Offenbarung Gottes bzw. der christlichen Glaubensinhalte wird deshalb auch der aktuelle naturwissenschaftliche Wissensstand verwendet. Denken Sie dabei beispielsweise an die beiden Schöpfungsberichte des Alten Testamentes, in denen das naturkundliche Wissen der damaligen Zeit genau reflektiert und im Dienste des Glaubensbekenntnisses des Volkes Israels eingesetzt wird. Daraus ergibt sich, daß das dynamische und geschichtliche Heilsgeschehen auch in seiner Beschreibung - beispielsweise in den unterschiedlichen Schöpfungsberichten des Alten Testamentes - eine evolutive Dimension enthält, weil die zugrundeliegende Basis menschlichen Wissens sich in stetem Wandel befindet. Dieses erste Argument illustriert die Wechselwirkung zwischen Naturwissenschaft und Theologie in der einen Richtung: von der Wissenschaft zum Glauben. Das zweite Argument bezieht sich auf die entgegengesetzte Richtung. 2. Neben dem Rückgriff auf (natur-)wissenschaftliche Ergebnisse für das Verstehen des Offenbarungsgeschehens gibt es auch Auswirkungen der religiösen Dimension auf das (natur-)wissenschaftliche Arbeiten des Menschen. Die Überzeugung von der Einheit und der Verstehbarkeit der Welt als Grundlage naturwissenschaftlichen Forschens ist letztlich religiösen Ursprungs. Und gerade diese letztgenannte Argument verdeutlicht, daß sich der naturwissenschaftliche Bereich der Wirklichkeit in den religiösen einbetten läßt. Oder anders formuliert: Der Mensch findet sich stets in der Situation vor, daß er auf die Einheit und die Permanenz der Wirklichkeit vertraut. Dieses Grundvertrauen zur Welt wird von unterschiedlichen Religionen zu unterschiedlichen Zeit ganz verschieden thematisiert. Im Kontext des Christentums sind Ursprung und Urgrund von Vertrauen, Sinn, Hoffnung und Liebe eindeutig offenbar. Ungeachtet dieser speziellen, christlichen Antwort auf die Frage nach dem Sinn von Mensch und Welt verläßt sich der Mensch ganz allgemein in seinem Leben und Handeln auf die Wirklichkeit. Damit entstammt auch die (Natur-)Wissenschaft als eine bestimmte Beschäftigung mit der Wirklichkeit einer im weitesten Sinne des Wortes religiösen Haltung. Durch die Einflüsse der antiken Philosophie ist die wissenschaftliche Tätigkeit im christlichen Abendland durch das Rationalitätsideal geprägt, das damit nachhaltig die Theologie bestimmt. Somit ist - und das ist meine These - die Theologie eine Wissenschaft am Übergang: Einerseits dem Rationalitätsideal verpflichtet, versucht sie, christliche Offenbarung und Glaubensinhalte vor der Vernunft und mit deren Mitteln verstehbar und verantwortbar zu machen. Andererseits dringt sie bei diesem Unternehmen in einen Bereich der Wirklichkeit vor, in dem die menschlichen Existentialien und das Heilshandeln Gottes die zentralen Elemente darstellen. Somit ist Theologie sowohl durch die Reichweite menschlicher Rationalität als auch durch den Umfang ihres Gegenstandsbereiches begrenzt, den sie vorfindet. Ich fasse zusammen: In dem hier vertretenen monistischen Weltverständnis beschäftigen sich Theologie und Naturwissenschaften mit verschiedenen Bereichen der einen Wirklichkeit. Diese stehen zueinander in Beziehung, was durch die genannten Wechselwirkungen zwischen ihnen zum Ausdruck kommt. Das entscheidende Argument für ein positiv zu füllendes Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie besteht in der Existenz des Menschen, der gerade die Schnittstelle zwischen diesen beiden wissenschaftlichen Disziplinen bzw. zwischen diesen beiden Wirklichkeitsbereichen ausmacht. Der religiöse Bereich ist wegen seiner Hinordnung auf die Existenz von Mensch und Welt und deren Heil dem wissenschaftlichen Bereich vorgeordnet, ohne daß damit irgendetwas über die Inhalte des naturwissenschaftlichen Forschens ausgesagt werden kann; d.h. von Seiten der Religion können die naturwissenschaftlichen Ergebnisse eines einheitlichen Weltbildes nicht inhaltlich bestimmt werden. Damit bilden Theologie und Naturwissenschaften zwei wesentliche und notwendige Elemente, um auf rationale Weise die Wirklichkeit verstehbar zu machen.

Lebenslaufoben

Biografische Angaben:

1980 Abitur am Johanneum
1980 - 1981 Zivildienst in einer Rehabilitationseinrichtung für psychisch Kranke
1981 - 1988 Doppelstudium der Physik und Kath. Theologie in Freiburg, Thema der Examensarbeit "Die Religiösität Albert Einsteins"
1984 Hebraicum
1989 - 1990 Assistent am Institut für Systematische Theologie in Freiburg, Arbeitsbereich Dogmatik und Quellenkunde des Mittelalters
1990 - 1993 Studium der Philosophie in Gießen
seit 1992 Assistent am Zentrum für Philosophie und Grundlagen der Wissenschaft in Gießen, Lehrstuhl für Philosophie der Naturwissenschaften
1996 Promotion in Physik mit einer Dissertation über ein philosophisches Problem der modernen Kosmologie (der Allgemeinen Relativitätstheorie)
seit 1996 Arbeit an einem Habilitationsprojekt über die Asymmetrie der Zeitrichtung

Publikationen

Neben zahlreichen Lexikonbeiträgen, Rezensionen und einigen Aufsätzen zu philosophischen Themen zwei Beiträge zum Thema "Theologie und Naturwissenschaft":


"Wie Feuer und Wasser oder ...?" Zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie . In: Praxis der Naturwissenschaften - Physik 46 (1997), Nr.6, S. 27-30


"Die Bedeutung Teilhards de Chardin für das Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaft". In: Dominguez Reboiras, Fernando (Hrsg.); Schmidt, Margot (Hrsg.) : Von der Suche nach Gott / Helmut Riedlinger zum 75. Geburtstag gewidmet. Stuttgart: Frommann-Holzboog, 1998


Mitarbeiter an folgenden Sammelbänden:
KANITSCHEIDER, Bernulf (Hrsg.): "Liebe, Lust und Leidenschaft: Sexualität im Spiegel der Wissenschaft", Stuttgart: Hirzel, 1998
KANITSCHEIDER, Bernulf; WETZ, Franz Josef (Hrsg.): "Hermeneutik und Naturalismus, Tübingen: Mohr (Paul Siebeck), 1998




obenAutor dieser Seite: Dr. Berthold Suchan, Uni Giessen, Web: Daniel Neufeld und Hagen Richter Datum: April 99.  Letzte Änderung am 05. Februar 2002
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