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Schulleben   Menschen im Müll

Erster Bericht: Eindrücke von einer Fahrt zur Müllhalde Moytamadea

Vor einem Jahr etwa fuhren, eine Gruppe von Kairener Neulingen, von der Wüste kommend an Richtung Maadi wegen einer Umleitung plötzlich durch eine Müllhalde, hineingeschüttet in die weite Fläche von Sand und Staub, schwarz, teils vor sich hinqualmend, trostlos - und ich sah zum ersten Mal Menschen darauf in Wellblechhausen hausen. Die Autostraße wieder erreichend, war der "Spuk" vorbei. Aber es war kein Spuk. Vor dem beißenden Gestank, der da in schwarzen Schwaden über dieser Müllwüste gelegen hatte, hatten wir uns durch die geschlossenen Fenster zu schützen versucht, später wusste ich dann, daß der ätzende Geruch, der mich nachts so oft aus dem Schlaf holte und die Fenster schließen ließ, von einer anderen Müllhalde hinter Mohandessin kam. Dorthin fuhr ich eines Tages zusammen mit zwei anderern Besucherinnen durch eine mir schon vertraute Gegend, bis wir merkten: Jetzt verließen wir Kairo. Das Auto rumpelte über eine Staubstraße, aber nicht in die Wüste, sondern hinein in die Felder, in dörflicher Umgebung. Halbfertige Häuser am Ackerland, Bäuerinnen, Vieh. . . und dann eine große Arbeitsstelle, ein Projekt der Ägypter und Amerikaner, der Bau einer Kläranlage, wie uns gesagt wurde. Vorher bogen wir ab, bis wir stehenblieben an einem noch unfertigen einstöckigen Haus, von dem aus eine feste Straße nach hinten zieht, an deren Seite weitere Häuser, ähnlich wie das erste, stehen, dazwischen eine große Baulücke mit Baumaterial. Das ist also das Selbsthilfe-Bauprojekt in der Mülldeponie Moytamadea. Wir treten in ein noch unbewohntes Haus, es gehört dem Bauleiter, einem tüchtigen ehemaligen Assistenten eines Architekten (selbst ohne Sdudium), der sich sein kleines Büro schon eingerichtet hat. Die Wände und Fensterrahmen riechen nach frischer Farbe.
Es sieht freundlich aus, das Haus repräsentiert den Typ der übrigen Häuser: Ein Korridor mit Treppenaufgang (oben kann es die gleiche Wohnung wie unten geben, die Fundamente sollen so gut sein, daß weitere Geschosse - bis zu fünf - aufgebaut werden können) - eine Stube, eine Kochnische oder Küche, Dusche und Tritt - WC in einem, insgesamt 50 m2 .- In der Anleitung und in der Mitarbeit der Familien, die bereit sind es zu tun und bescheidene Beträge beibringen, enstanden und entstehen diese Häuser.
In einem unfertigen Haus, an dem eben gearbeitet wird, erklimmen wir die Treppe. Von oben sehen wir erst so recht, was diese Straße bedeutet:
Hinter den gegenüberliegenden Häuschen eine Mauer - dahinter das, was diese Quadratmeter sauberer Grund zuerst auch waren: eine weite, wüste Müllkippe, auf der Leben angesiedelt ist, Menschen und Tiere, kaum zu trennen, wo. Ein unvergessener Eindruck, der sich einbrennt: wie der Müllkarren ankommt vor dem schwarzen Wellblechverschlag.
Der Mann in Galabeya hat seine morgendliche Arbeit getan (seit frühem Morgen war er unterwegs, den Müll eines ihm zugeteilten Bezirks vor jedem Haus, meist sogar vor jeder Wohnugstür einzusammeln), nun ist die Frau an der Reihe. Sie tritt aus dem Dunkel des Verschlags, mit ihren Händen das verklebte Haar kämmend, um nun mit diesen Händen den Müll, der sich auf dem offenen Karren türmt, zu sortieren...
Daneben sieht man vier schwarze Schweine, das Kapital der Leute, die "Entsorgungsstelle" für die im Müll enthaltenen Küchenabfälle. Müll und Wellblechhütten sieht man bis an den Horizont als einen grauen Streifen im grünen Land. An die 5000 Menschen und mehr sollen da leben.
Wenn man den Blick abwendet, wieder hinunter geht, eingeladen wird von einer nett aussehenden Frau mit Kind auf dem Arm, einzutreten in ihr Haus, man eine richtige Stube sieht, herzlich, aber scheu begrüßt wird, dann kann man ermessen, was diese Straße bedeutet, vor deren Häusern sogar manch ein Baum gepflanzt ist, gepflegt wird, wie man sieht- in eigener Verantwortung. In diesen Häusern darf nicht mehr vom Boden gegessen werden, es gibt Küchenregale für Töpfe und Teller (Erziehungsarbeit von Schwester Maria), in diesenn Häusern gibt es Wasser- eine Neubohrung hat endlich einen guten Brunnen erschlossen, ein Labsaal für die ganze Umgebung, Kinder laufen sauber gekleidet mit Heften in der Hand aus eigenen Schulen, die gerade erst den 2. Tag in Betrieb ist mit zwei Klassenräumen und zwei jungen idealistischen Lehrern (wir konnten den jungen Mann mit offenem, herzlichem Blick 48 Kinder unterrichten sehen). Ja, wenn man dann erlebt hat, wie eine Gruppe junger Frauen unter Anleitung einer Lehrerin in der hellen Nähstube in einem Obergeschoss näht, ein fertiges Pyjamajäckchen mit Rüschen oder ein hübsches Nachthemd bewundern kann, wenn man gesehen hat, wie in einem Raum gewaschener Textilmüll in Streifen geschnitten wurde, um zu Flickenteppichen verwebt zu werden, eine Schreinerwerkstatt besucht, dann hat man begriffen, daß hier die Kreatur in einer unvorstellbaren Randexistenz zu einem bescheidenen Menschsein angehoben wurde und wird, sofern sie diesen Schritt fähig und willens ist zu tun.
Dahinter steht die aufreibende Erziehungs- und Organisationsarbeit von Schwester Maria, von der sie sagt, daß sie eigentlichden Frauen gelte, den Frauen, die nicht nur diese niedrige Existenz mit den Männern teilen, sondern noch tiefer, noch unter diesen stehen bzw. gehalten werden. Aber Hilfe, Zugang zu den Frauen ist nur möglich über die Männer, und das ist schwer genug. Der Lohn: daß einige bereit sind, ein Haus für ihre Familie zu bauen, daß die Frauen allmählich dazu gebracht werden, nicht mehr vom Boden zu essen, eine Stube nett zu halten, durch selbst genähte Kleidung Wert zu gewinnen...
Wert auch in wirtschaftlicher Hinsicht, denn auch in den Slums bedeutet Arbeit, die Geld einbringt oder einbringen kann, den ersten Schritt zur Selbstständigkeit einer Frau. Mir ist kein mißmutiges Gesicht in dieser Straße begegnet, die Kinder waren fröhlich.
Wenn das neue Vorhaben erst gelingt, einen angrenzenden Streifen Fruchtland zu pachten, um den Familien die Möglichkeit zu geben selbst Gemüse zu pflanzen,- denn Mangel- und Fehlernährung sind bei den Lebensmittelpreisen natürlich erschreckend hoch-, wäre ein weiteres Ziel erreicht in einer jahrelangen, zähen und unermüdlichen Tätigkeit der kleinen Schritte für Menschen. "Das Privileg des Menschseins ist ein sauberer Wohnraum", meint Schwester Maria...
Man kann darüber nachdenken.

Frau Dr. Irene Müller - Vorderwinkler


nach obenAutor: Frau Dr. Irene Müller-Vorderwinkler, Web: Marcel Formann, Felix Kreit Datum: Oktober 2004 Letzte Änderung am 13.Januar 2005
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