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"Ehemalige Ukrainische Zwangsarbeiter zu Besuch"

Vortrag am 19.05.2005: Ehemalige Zwangsarbeiter auf Spurensuche

Wir Schüler der zehnten und auch teilweise Schüler der zwölften Klassen hatten am Donnerstag, den 19 Mai, die Möglichkeit ehemaligen Zeitzeugen des zweiten Weltkrieges zu begegnen, das wird Schülern aus niedrigeren Klassenstufen wohl kaum mehr möglich sein.

Es war wohl eine der schwierigsten Zusammenkünfte, die auf dem Johanneum je stattgefunden haben, denn unsere Gäste sprachen nur ukrainisch oder russisch und deshalb musste die Dolmetscherin, Frau Barka, uns alles übersetzen.
Die Gruppe ist auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen für eine Woche zu Besuch nach Lüneburg gekommen. Sie alle gehören der Ukrainischen Nationalstiftung an, die ursprünglich die Auszahlung der Entschädigungen an ehemalige Zwangsarbeiter organisiert hatte und jetzt schon seit drei bis vier Jahren nur noch humanitäre Projekte leitet.
Doch keiner der anwesenden ehemaligen Zwangsarbeiter hat eine Entschädigung bekommen, denn entschädigt wurden nur die Zwangsarbeiter, die in der Industrie tätig waren. Und da unsere Gäste in der Landwirtschaft, in der Gastronomie oder in privaten Haushalten gearbeitet hatten, wurden sie wie auch die ehemaligen Kriegsgefangenen nicht entschädigt. Zudem gehörten sie noch zu der untersten Stufe der Zwangsarbeiter, denn die Zwangsarbeiter aus dem Osten, z.B. aus Polen, der Ukraine oder aus Russland, wurden wegen der Rassenpolitik viel schlechter behandelt als westliche Zwangsarbeiter.
Als erstes erzählte uns Frau Vovkogan ihre Geschichte, die sie nur unter Tränen erzählen konnte. Sie kam mit 17 Jahren nach Deutschland und musste in einer Fabrik arbeiten. Die Arbeit war dort sehr schwer doch viel schlimmer war der ständige Hunger den die Mädchen hatten, denn sie bekamen kaum etwas zu essen. Aufgrund der nichtausreichenden Ernährung war Frau Vovkogan immer sehr kraftlos. Die Zwangsarbeiter in ihrer Firma haben zwar Geld bekommen, doch konnten sie sich kein Essen von diesem Geld kaufen, da man dafür Lebensmittelkarten benötigte. Die Unterbringung war auch nur sehr notdürftig, denn sie musste mit vielen anderen Mädchen in einer Baracke leben, wo es sehr kalt war und von wo aus sie nicht weggehen durften.
Als nächstes berichtete uns Herr Shulyak sein Erlebtes. Er kam schon mit zehn Jahren nach Deutschland. Zuerst war er in einem Lager, von wo aus er zu einem Bauer nach Barendorf gekommen war. Er musste dort auf dem Hof anpacken. Obwohl er noch sehr klein war, hatte er doch jede Menge zu erledigen. " Ich habe alles Schlimme am Krieg miterlebt", sagt Herr Shulyak " Bombenangriffe, wie Juden erschossen wurden…". Doch trotz all dieser schlimmen Erlebnisse kam er nach dem Krieg wieder heim. Sein Vater war im Krieg gestorben, seine Mutter war auch nicht mehr da und die Stiefmutter war wenig begeistert ihn wieder zu sehen. Deswegen kam er nach dem Krieg zu seinem Patenonkel, der ihn bei sich aufnahm und ihn eine Ausbildung machen ließ.
Die Geschichte von Marija Duma ist genauso traurig wie die der anderen. Sie kam mehr oder weniger zufällig nach Deutschland, denn zunächst stand ihre große Schwester auf der Liste. Sie hatte jedoch einen deutschen Freund, der die Liste vorher gesehen hatte und es noch rechtzeitig geschafft hatte sie zu verstecken. Als dann die Leute kamen um die Schwester abzuholen, war diese nicht da und deswegen wurde Marija mitgenommen. Und so kam sie nach Lüneburg in das Hotel "Stadthotel", wo sie von morgens um sieben bis in den späten Abend hinein arbeiten musste. Obwohl die Herrin sie sehr gerne hatte und immer sehr nett zu ihr gewesen sei, gebe es wohl keine Stelle auf dem Hof, an der sie nicht heimlich geweint hätte, erzählt Frau Duma. Als Frau Duma Urlaub bekommen hatte und nach Hause fahren konnte um ihre Mutter zu besuchen, wurde sie schließlich in der Ukraine festgehalten und musste dort für die Rote Armee arbeiten.
Außerdem hörten wir noch die Geschichten von Frau Kolganova und Frau Jakowlewa. Frau Kolganova arbeitete in der Fabrik Ibus, wo sie Waggons mit Betonwaren mit der Hand be- und ausladen mussten. Die Waren sind sehr schwer gewesen und auch die Arbeitszeiten sehr ungeregelt, denn sie mussten manchmal mitten in der Nacht aufstehen um zu arbeiten. Doch auf eins hatte sie sich immer freuen können, erzählt Frau Jakowlewa, nämlich auf ihr warmes Zimmer. Denn sie hatte im Vergleich zu anderen Arbeitern in einem Zimmer mit nur drei anderen Frauen gewohnt. Das Zimmer war immer sehr warm und sauber, sodass sie sich immer nach der schweren Arbeit entspannen konnten. Nach dem Krieg kam sie in der Ukraine in ein Arbeitslager der Roten Armee und hatte deswegen kaum Probleme in ihrer Heimat, so wie es bei vielen anderen Zwangsarbeitern auf Grund ihrer Deportierung der Fall war. Denn sie hatte sozusagen als Wiedergutmachung auch für die Russen gearbeitet und somit bewiesen, dass sie keine Verräterin war.
Schließlich erzählte Frau Jakowlewa, deren Mutter hier als Zwangsarbeiterin gearbeitet hatte. Frau Jakowlewa wurde hier während der Arbeitszeit ihrer Mutter im heutigen "Café Central" geboren. Ihre Mutter kam mit 21 Jahren nach Lüneburg, als sie bereits schwanger war und musste als Dienstmädchen in dem damaligen Gasthaus "Zur Sonne" arbeiten. Da es der Mutter und dem Kind nach der Geburt nicht gut ging, kamen beide in ein Krankenlager. Die ärztliche Versorgung und die Ernährung ließen zu wünschen übrig. Doch eine Ärztin, die auch unter den Kriegsgefangenen war, hatte sie damals gepflegt und ihnen geholfen. Schon nach drei Monaten kamen Mutter und Kind wieder in die Ukraine.

Keine/r der anwesenden ehemaligen Zwangsarbeiter und zwangsarbeiterinnen hat während seiner/ihrer Zeit in Deutschland je daran gedacht wieder nach Hause kommen zu können. Ebenso hat keine/r von ihnen sich je vorstellen können 60 Jahre nach dem Krieg an ihre ehemalige Arbeitsstelle zurückkehren zu können.
Alles in Allem hegen diese Menschen keinen Hass auf die Deutschen, denn wir gehören nun schon zu der nächsten Generation und haben das Grausen von damals weder erlebt noch selber beeinflussen können.
Und schließlich hatten alle einen gemeinsamen Wunsch für unsere Zukunft, den sie alle nur unter Tränen hervorbringen konnten: Wir sollen das Vergangene nicht verdrängen, damit es sich in der Zukunft nicht mehr wiederholen kann. Es soll nie wieder zu einem Krieg in unserem Land kommen, denn sie wissen, was es heißt im Krieg zu leben, und wünschen uns auf keinen Fall so etwas durchleben zu müssen.
Es war wohl eine der schwierigsten Begegnungen, doch auch eine, die wohl am meisten unter die Haut ging.
Lasst uns die Bitte dieser Menschen ernst nehmen und für eine kriegsfreie Zukunft kämpfen.

Marina Bauser


obenAutor: Marina Bauser 10 F 1 Web: Gisela Müller     Datum: Mai 2005. Letzte Änderung am 17.Juni 2005
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