"Ehemalige Ukrainische Zwangsarbeiter zu Besuch"
Vortrag am 19.05.2005: Ehemalige Zwangsarbeiter auf Spurensuche
Am Donnerstag, dem 19.Mai 2005, hatten wir, die Schüler der 10./11.Klassen und die Lehrer des Johanneums die Möglichkeit mit Zeitzeugen aus der Ukraine, die in der Zeit des NS-Regimes in der Umgebung Lüneburgs als Zwangsarbeiter lebten, zu sprechen.
In einer kurzen Einführung von Herrn Dr. Rausch nannte dieser die dreifache Bestrafung der Opfer:
- die Behandlung in Deutschland,
- die Behandlung in der Sowjet-Union,
- das nicht entschädigte Leid.
Durch diese Bestrafung wurden sie zu "Opfern seit Jahrzehnten"!!!
Außerdem erklärte Herr Dr. Rausch, dass die Zwangsarbeiter aus dem Osten eine der am wenigsten bekannten Gruppe seien, da kaum etwas über die 8 Millionen Opfer in Schulbüchern oder Zeitungen stehe.
Die ehemaligen Zwangsarbeiter, die uns besuchten, waren:
- Frau Kolganova, 80 Jahre alt, aus Simferpool; sie musste in
Lüneburg in einer Fabrik im Övelgönnerweg 13 Züge be- und
entladen.
- Frau Siliverst, 80 Jahre alt aus Poltowa; Sie musste bei der
Firma Ibus arbeiten.
- Frau Duma, 81 Jahre alt, aus Korelitschi, Gebiet Lwiwsk; Sie
musste im Hotel "Stadthaus'' arbeiten.
- Herr Shulyak, 74 Jahre alt; Er kam mit 14 Jahren nach
Deutschland und musste bei einem Bauern in Barendorf
arbeiten.
- Frau Vovkogon, 63 Jahre alt, ist in Lüneburg geboren; ihre
Mutter war Zwangsarbeiterin bei Familie Sander in Lüneburg.
Manche von ihnen brachten Angehörige mit. Begleitet wurden sie von der Dolmetscherin Frau Baka (24 Jahre alt), die in der Ukrainischen Nationalstiftung arbeitet.
Nach der Einführung erzählten zwei Gäste aus ihrem damaligen Leben:
Frau Siliverst sagte mit Tränen in den Augen, dass sie mit 17 Jahren verschleppt und zur Firma Ibus gebracht worden sei. Dort musste sie Holz zuschneiden, als Bezahlung bekam sie Essenskarten. An einem Tag musste sie mit 150g Brot, 20g Margarine und einer Rübe oder anderem Gemüse auskommen. Außerdem hatte sie bei Ibus mit deutschen Frauen zusammen gearbeitet, aber über diese habe sie nichts Schlechtes zu sagen, fügte Frau Siliverst hinzu. Sie wünscht uns allen, dass wir so etwas Grausames nie erleben würden und dass der Krieg nie wieder komme.
Herr Shulyak erklärte uns, auch nicht ganz ohne Tränen, dass er 10 Jahre alt gewesen sei, als der Krieg anfing, und vier Jahre später nach Deutschland gebracht worden sei. Allerdings sei er auf dem Weg nach Deutschland erst für 8 - 9 Monate in ein Lager in Polen gekommen, dann in ein Lager in Deutschland, in dem es nach 3 - 4 Tagen kaum noch Nahrungsmittel gegeben habe, und dann sei er nach Barendorf zu einem Bauern gebracht worden. Dort habe er Holz hacken, die Tiere füttern und deren Ställe säubern müssen. Herr Shulyak sagte, dass der Bauernhof groß genug gewesen sei um immer etwas zu tun zu haben. Später fand er auch noch den Cousin seiner Stiefmutter wieder. Als er durch die Amerikaner befreit wurde, nahm ihn sein Patenonkel auf, weil sein Vater im Krieg gestorben war. Außerdem erzählte er, dass der Rest seiner Familie sich nicht über das Wiedersehen gefreut habe. Noch heute habe er große Angst, dass der Faschismus wiederkomme, er habe in seinem Leben zu viel Blut gesehen und wünsche uns, dass wir so etwas nicht erleben müssten.
Nun durften wir unsere Fragen loswerden:
1) Was waren die Auswahlkriterien um nach Deutschland zu kommen?
- "Vor 1942 mussten fast alle ab 15 Jahren, nach ´42 noch Jüngere nach Deutschland. Durch die harte, schwere Arbeit starben viele und dann brauchten die Deutschen wieder neue Arbeitskräfte." (Herr Shulyak)
- "Es gab Namenslisten und alle, die da drauf standen, wurden abgeholt. Der Freund meiner Schwester bekam mit, dass ihr Name auf einer solcher Listen stand, und versteckte meine Schwester bei sich. Als sie meine Schwester dann holen wollten und sie nicht fanden, haben sie mich mitgenommen um einen Namen von der Liste streichen zu können." (Frau Duma )
2) Was ist mit den kleinen Kindern der Verschleppten passiert?
"Meine Mutter war gerade nach Deutschland verschleppt worden, als ich geboren wurde. Wir wurden ins Krankenlager gebracht, weil wir beide durch die Geburt sehr geschwächt waren. Nachdem es uns besser ging, half meine Mutter anderen Kranken und arbeitete somit als Krankenpflegerin. Nach ca.9 Monaten war der Krieg zu Ende und wir durften wieder nach Hause." (Frau Vovkogon)
3) Wie haben Sie sich mit den Deutschen verständigt?
- Bei netten Leuten wurden einem Gegenstände gezeigt, mit Namen genannt und so lernte man Deutsch. Zitat: "Es ist wie im U-Boot, man muss überleben und dann lernt man schnell!" (Frau Duma)
- Frau Kolganowa hat vor dem Krieg fast 3 Jahre Deutsch gelernt.
4) Hatten Sie noch Hoffnung nach Hause zu kommen?
Frau Kolganowa hatte kaum noch Hoffnung, da überall Tote lagen. Doch wenn sie Briefe nach Hause geschrieben hatte und eine Antwort von zu Hause zurückkam, dann war das schon ein kleiner Lichtblick.
5) Hatten Sie Flucht- oder Selbstmordgedanken?
"Nein, weil ich mitbekam, wie eine Flüchtige eingefangen und vor aller Augen erschossen wurde."(Frau Kolganowa)
6) Wie lange mussten sie arbeiten?
- "Bis zu acht Stunden bei Ibus." (Frau Siliverst)
- "Solange bis das ganze Geschirr gespült war. Das dauerte meist bis in die Nacht hinein.'' (Frau Duma)
- "Immer dann, wenn die Züge kamen, und dann, bis sie ent- bzw. beladen waren.'' (Frau Kolganowa)
7) Wie wurden Sie behandelt?
- Frau Duma hatte eine sehr enge Beziehung zu ihrer Chefin aufgebaut. Diese nahm Frau Duma wie eine Tochter auf und hoffte, dass sie aus dem Urlaub in ihre Heimat wiederkomme, was aber nicht der Fall war.
- "Es war keine schlechte Behandlung." (Frau Siliverst)
8) Mussten Sie Ihre Wäsche selbst waschen oder wurde die gar nicht gewaschen?
- "Bei Ibus gab es eine Art Waschküche, in der jeder seine Wäsche selbst waschen konnte." (Frau Siliverst)
- "Der Bauer hatte eine Angestellte, die hauptsächlich für das Wäsche waschen zuständig war." (Herr Shulyak)
9) Wo haben sie gewohnt, die in den Fabriken gearbeitet haben?
- "In Baracken, die einigermaßen sauber und warm waren", erinnert sich Frau Kolganowa und erzählt uns noch, dass sie irgendwann für ihre Arbeit bezahlt worden sei. Von dem verdienten Geld habe sie sich dann einmal einen Lippenstift gekauft.
- Auch Frau Siliverst wohnte in einer Baracke.
10) Haben Ihnen Ihre deutschen Mitarbeiter/innen Essen abgegeben?
"Nein, die bekamen zwar mehr als wir, aber das reichte auch gerade mal für sie." (Frau Siliverst)
11) Wie war die Rückkehr 1945?
Herr Shulyak erinnert sich, dass er sich im Mai auf den Heimweg machte und erst im Herbst zu Hause ankam.
12) Wie wurden Sie zu Hause empfangen? Wie sah Ihr Leben nach dem Krieg aus?
- "Auf uns warteten der Bolschewismus und die brutalen russischen Soldaten. Ich habe dann als Schneiderin gearbeitet um wenigstens ein bisschen Geld zum Leben zu verdienen." (Frau Kolganowa)
- Frau Duma wollte eine Ausbildung machen, fand aber keine Ausbildungsplatz. Also brachte sie sich selbst bei als Buchhalterin zu arbeiten. In diesem Beruf war sie dann 44 Jahre tätig.
- "Zu Hause haben alle mit mir geschimpft, weil ich in ihren Augen ein Verräter war, da ich in Deutschland gelebt hatte", erinnert sich Frau Siliverst weinend.
- "Ich konnte eine Ausbildung machen und habe dann in einer Papierfabrik gearbeitet." (Herr Shulyak)
13) Erinnern Sie sich noch oft an damals oder ist das doch Vergangenheit und fast vergessen?
Frau Siliverst erklärt, dass sie sich noch oft daran erinnert und dass die Erinnerungen an damals meistens mit Tränen verbunden sind. Außerdem glaube sie nicht, dass man so etwas vergessen könne.
Nachdem unsere Fragen beantwortet wurden, verabschiedeten wir unsere Gäste mit gebührendem Applaus. Aber mit dem Besuch im Johanneum war ihre Reise noch nicht beendet. Denn auf ihrem Plan stand am nächsten Tag noch der Besuch ihrer ehemaligen Arbeitsplätze bzw. deren Standorte auf dem Programm.
Sophie C. Hagemann
Autor: Sophie C. Hagemann 10 F 1 Web: Gisela Müller
Datum: Mai 2005. Letzte Änderung am 17.Juni 2005
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