"Ehemalige Ukrainische Zwangsarbeiter zu Besuch"
Vortrag am 19.05.2005: Ehemalige Zwangsarbeiter auf Spurensuche
Auf Einladung von Pastor Harry Dörr vom Arbeitskreis Christlicher Kirchen Lüneburg besuchten ehemalige Zwangsarbeiter Lüneburg, die gemeinsam mit der Ukrainischen Nationalen Stiftung "Verständigung und Aussöhnung" ermittelt und ausgewählt wurden. Während ihrer schweren Reise nach Lüneburg, in die Region, die sie an das dunkelste Kapitel ihres Lebens erinnerte, fanden sie die Zeit einen Teil der Schüler des Johanneums, nämlich den zehnten und elften Jahrgang und den Geschichtskurs von Herrn Dr. Rausch, zu besuchen und von ihrer schlimmen Vergangenheit zu berichten. Denn nur im Gespräch mit den wenigen Zeitzeugen und vor allem mit den Opfern des Naziregimes wird unserer Generation begreiflich, welches Unrecht damals herrschte. Zur Gruppe gehören drei ehemalige Zwangsarbeiterinnen, Lyubov Kolganova, Antonia Siliverst und Mariya Duma , sowie ein ehemaliger Zwangsarbeiter, Leonid Shulyak und Frau Kateryna Vovkogon, die Tochter einer Zwangsarbeiterin, die 1943 in Lüneburg geboren wurde.
Herr Dr. Rausch leitete dieses schwere Gespräch mit einem kurzen Vorwort ein:
Er sagte, dass diese Begegnung auf Grund der Sprache, ukrainisch, russisch, eine schwierige sei. Zu den Opfern der Kriegszeit gehörten fast 8 Millionen Zwangsarbeiter und knapp 1% Freiwilliger, nicht nur aus der Ukraine, sondern auch aus Russland und Polen. Im Verhältnis zu den aus dem Ostblock stammenden Zwangsarbeitern genossen die wenigen Zwangsarbeiter aus den westlichen Staaten eine bessere Behandlung. Diese Behandlung wurde auf die rassische Zuordnung der Nationalsozialisten zurückgeführt, denn die unterste Stufe bildeten die Zwangsarbeiter aus den Ostblockstaaten. Das Schicksal dieser Menschen sei erfahrenswert, denn diese Personen seien in ihrem Leben gleich dreimal bestraft worden. Die erste Strafe sei die Zwangsarbeit, die zweite die Behandlung in der Sowjetunion nach der Rückkehr und die dritte Strafe sei gewesen und ist, dass sie für jenen Lebensabschnitt keine Entschädigung bekommen hätten und bekommen würden. Das Schlagwort der Nationalsozialisten sei "Vernichtung durch Arbeit" gewesen. Zwangsarbeiter teilen das große gleiche Leid: Sie hätten in der Industrie, Landwirtschaft arbeiten müssen oder seien als Kinder verschleppt worden. Als Entschädigung sähen sie u.a. das Nicht-in-Vergessenheit-Geraten an, denn diese Begegnung sei für sie wie eine Aussöhnung.
Im Anschluss durften wir Schüler Fragen stellen:
1. Unter welchen Umständen bzw. auf welchem Wege erfolgte der Transport
nach Deutschland?
- Frau Vovokogan, deren Mutter Zwangsarbeiterin bei Familie Sander war, wurde in Lüneburg geboren.
- Frau Antonia Siliverst musste seit ihrem 17. Lebensjahr bei der Firma Ibus arbeiten. Sie musste "keine schwere Arbeit" leisten, sondern verschiedene Holzarbeiten ausschneiden. Sie arbeitete mit einer deutschen Frau zusammen, bekam ein bisschen Geld, doch dieses konnten sie kaum ausgeben, da sie keine Lebensmittelkarten bekamen.
Sie hungerten und waren unterernährt. Ihre Ernährung bestand täglich aus 150g Brot, 20g Butter, Rüben oder Spinat.
- Frau Siliverst fügte mit Tränen in den Augen hinzu, dass sie uns allen das Beste wünsche. Sie sei vor 60 Jahren auf unterster Stufe gewesen und nun nach 60 Jahren freue sie sich über die herzliche Gastfreundschaft.
- Herr Shulyak wurde als 10-Jähriger nach einem acht- bis neunmonatigen Aufenthalt in einem Lager in Polen zu Beginn des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland, und zwar nach Lüneburg verschleppt.
Im polnischen sowie im deutschen Lager gab es wenig zu essen. Nach etwa drei bis vier Tagen wurde er von Lüneburg nach Barendorf zu einem Bauern geschickt. Doch lange nicht alle Bauern wollten schwache Arbeitkräfte, also kleine Kinder haben. Auf dem Hof gab es für alle viele verschiedene Arbeiten wie Holzhacken oder die Arbeit im Hühnerstall zu verrichten. Herr Shulyak fühlte sich erleichtert, als er erfuhr, dass der Cousin seiner Stiefmutter auch als Arbeitskraft in Barendorf eingeteilt war. Als die Amerikaner Hamburg bombardierten, konnte er die Flammen noch in Barendorf sehen.
2. Wie denken Sie über die Deutschen, empfinden Sie Hass oder stehen Sie
allen neutral gegenüber?
Keiner der ehemaligen Zwangsarbeiter empfindet Hass gegenüber den Deutschen. Ihr größter Wunsch ist, dass der Faschismus nie wieder komme und unsere Generation so eine Terrorherrschaft zu verhindern suche.
3. Spielten Selbstmord- oder Fluchtgedanken eine Rolle?
An Selbstmord dachte keiner in seinem Leben. Auch Fluchtgedanken spielten keine Rolle, da jeder wusste, dass die Soldaten Flüchtlinge gleich ermorden würden.
4. Wie beurteilen Sie die Aufnahme als Zwangsarbeiter/in bei den Deutschen
und zu Hause bei der eigenen Familie nach der Rückkehr?
- Herr Shulyak wurde, obwohl er ein schwacher Junge war, bei dem Bauern in Barendorf aufgenommen, aber nach seiner Rückkehr von seiner Familie verstoßen. Doch sein Patenonkel hatte ihm Arbeit in einer Papierfabrik besorgt und ihn bei der Berufsschule angemeldet. Auch heute noch fürchtet er sich vor dem Faschismus.
- Frau Silliverst musste überwiegend in der Landwirtschaft nach ihrer Rückkehr arbeiten. Ihr Ausweis wurde von ihren Eltern besorgt. Sie empfand Scham bei der ersten Begegnung mit ihren Eltern.
- Frau Duma berichtete nur Positives, denn die Besitzer des Hotels, in dem sie als Zwangsarbeiterin tätig war, waren sehr lieb zu ihr, obwohl sie unter Heimweh litt. Aus diesem Grund ermöglichten diese ihr einen Besuch bei ihrer Mutter, doch die sowjetische Armee griff sie auf, für die sie dann arbeiten musste.
5. Nach welchen Kriterien wurden die Arbeitskräfte vor dem Abtransport
ausgewählt?
Die Verschleppten wurden wahllos ausgesucht, alle Personen ab dem
15. Lebensjahr mussten abtransportiert werden. Ab 1942 wurden ganze Dörfer weggeschleppt: "Liste-Name-raus!"
6. Wurden die Kinder bei der Deportation der Eltern zurückgelassen?
Größtenteils wurden ganze Familien verschleppt, Kinder wurden nie vereinzelt zurückgelassen - in Deutschland kamen sie je nach Alter in ein Heim oder mussten sogar schon selbst arbeiten.
7. Haben Sie positive Erinnerungen?
Alle empfanden die Deutschen als liebe und freundliche Menschen, denn der Krieg war auch in Deutschland unerwünscht.
8. Hatten Sie genügend Verpflegung?
Frau Siliverst sagte, sie sei mit einer Französin untergebracht gewesen, und fügte hinzu, dass diese Lebensmittelkarten gehabt hätte, das Teilen aber unmöglich gewesen sei, da die Mengen so gering gewesen seien und kaum für die Französin selbst gereicht hätten.
9. Wo wohnten die Fabrikarbeiter?
Frau Kolganowa sagte, dass sie in einem kleinen Lager, in einer Baracke für etwa 20 Personen gewohnt hätte und die Soldaten die Arbeiter in Begleitung eines Hundes überwacht hätten. Sie fügte hinzu, dass es keinen Ausgang gegeben hätte. Außerdem berichtete sie von ihrem geringem Lohn, für den sie sich einmal einen Lippenstift gekauft hätte. Ihre Arbeit bestand im täglichen Auf- und Abladen der Güter von 4 - 5 Zügen. Es hätte zudem kleine Zimmer, die sauber und warm gewesen seien, für vier Personen gegeben, in denen Hochbetten mit Heu gestanden hätten.
10. Wie wurden zwei- bis dreijährige Kinder behandelt?
Viele kleine Kinder wurden nach der Geburt ins Krankenhaus gebracht, danach in ein Sammellager für alle Kranken in der Nähe von Hannover. In diesem Lager starben viele. War ein Kinderheim vorhanden wie in den meisten Städten, wurden diese Kinder dorthin gebracht. Kinder genossen im Allgemeinen in Dörfern ein besseres Leben als in der Stadt.
11. Wie verständigten Sie sich, kommunizierten miteinander?
- Falls eine gute Beziehung zwischen den Arbeitern und "Besitzern" bestand, verständigte man sich mit Zeichensprache, also mit Händen und Füßen, und lernte dadurch Deutsch. Durch den Überlebenswillen lernte man jedoch schneller als erwartet.
- Einige Zwangsarbeiter hatten auch schon drei Jahre Deutschunterricht vor Beginn des Krieges.
12. Hatten Sie Hoffnungen, Ihre Heimat und Ihre Familien eines Tages wieder
sehen zu können?
- Frau Duma hatte kaum Hoffnung, eines Tages heimkehren zu können, denn im Krieg kannte sie nur das Gefühl Angst. Sie weinte die meiste Zeit.
- Frau Silliverst verband die Hoffnung mit dem Gedanken nach Hause. Nachdem sie von der Befreiung ihrer Heimat gehört hatte, begann sie Briefe zu schreiben.
13. Gab es geregelte Arbeitszeiten?
- Frau Silliverst arbeitete bis zu 8 Stunden täglich,
- Frau Duma bis zur Schließung des Hotels,
- Frau Kolganowa, bis der Zug be- oder entladen war.
14. Wurde Ihre Wäsche gewaschen?
Frau Duma und Frau Silliverst mussten ihre Wäsche in der Waschküche selbst waschen. Für Frau Kolganowa wurde die Wäsche gewaschen.
15. Wie verarbeiteten bzw. verarbeiten Sie die Erinnerungen?
Erinnerungen kommen immer wieder und sind stets mit Schmerzen und Angst verbunden und auch mit Tränen.
16. Wann kehrten Sie heim?
Erst im Herbst 1945 kamen viele Zwangsarbeiter wieder in ihrer Heimat an, obwohl die Heimfahrt schon im Mai begonnen hatte - sie mussten viele Stopps einlegen.
Wir sollten die Erinnerung dieser Menschen als Warnung wach halten, denn die Überlebenden sterben aus, überwiegend wegen gesundheitlicher Probleme oder ihres hohen Alters aus.
Viviane Albers
Autor: Viviane Albers 10 F 1 Web: Gisela Müller
Datum: Mai 2005. Letzte Änderung am 17.Juni 2005
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