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Chronik   Hervorragende Schüler

Fritz Heinemann
Philosoph

  1. Kurzbiographie
  2. Auszug aus Brockhaus- Enzyklopädie
  3. Grundzüge der Philosophie Heinemanns




 

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  1. Kurzbiographie
1889 Friedrich Heinrich Heinemann wird am 8.Februar in Lüneburg als Sohn einer bedeutenden jüdischen Familie geboren
1907 nach dem Besuch einer Privatschule und des Johanneums legt er am 22.2. das Abitur am Johanneum mit überdurchschnittlichen Leistungen ab; er ist Mitglied des Lüneburger „Wandervogels“
ab 1907 Studium der Philosophie in Cambridge, Marburg, München und Berlin
1912 Doktor der Philosophie mit der Dissertation „Der Aufbau von Kants Kritik der reinen Vernunft und das Problem der Zeit“
1914-18 Während des ersten Weltkrieges Dienst als Arztschreiber in einen Lazarett bei Küstrin 1918 Heirat mit Frau Dr. phil. Adelheid Schiff (Frankf./M.)
1919 Als Mathematiklehrer des Kaiser-Friedrich-Realgymnasiums in Berlin erhält Heinemann den Bonitz-Preis der Wiener Akademie der Wissenschaften für eine Arbeit über Plotin
1921 Veröffentlichung von „Plotin, Forschungen über die plotinische Frage“ Venia legendi an der Universität Frankfurt /M.
1929 Veröffentlichung von „Wilhelm von Humboldts philosophische Anthropologie und Theorie der Menschenkenntnis“ und „Neue Wege der Philosophie“
1930 Ernennung zum außerordentlichen Professor in Frankfurt
1933 Heinemann verliert am 8.9. aufgrund des nationalsozialistischen „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ seine Lehrbefugnis. Heinemann arbeitet in Amersfoort (NL) und an der Sorbonne in Paris (Bekanntschaft mit Gabriel Marcel und Nicolai Berdjajew)
1937 Emigration der Familie Heinemanns von Frankfurt nach Oxford
1939-56 Heinemann lehrt am Manchester College in Oxford
1951 Veröffentlichung von „Existenzphilosophie, lebendig oder tot ?“
ab 1957 als emeritierter Professor in Frankfurt
1957 Veröffentlichung von „Jenseits der Existenzphilosophie“
1970 Heinemann stirbt am 7.1. 1970 in Oxford
1972 Auf Anregung von Herrn Studiendirektor Manfred Göske, der sich mit seinen Nachforschungen über das Schicksal ehemaliger jüdischer Mitbürger Lüneburgs verdient gemacht hat, wurde das Heinemann-Archiv in der Ratsbücherei Lüneburg gegründet. Es enthält über hundert Veröffentlichungen Heinemanns.
1985 Im Beisein von Francis Heinemann, des Sohnes von Fritz Heinemann, erhielt der Lesesaal der Ratsbibliothek den Namen „Heinemann - Saal“


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  1. Auszug aus Brockhaus-Enzyklopädie


Heinemann, Fritz, Philosoph. * Lüneburg 8.2. 1899, 1930 Prof. in Frankfurt, 1939-56 in Oxford, seit 1957 em. Prof. in Frankfurt, Historiker und Kritiker der Philosophie des 20. Jhts, bes. der Existenzphilosophie; Werke: Plotin (1921), Neue Wege der Philosophie (1929), Odysseus oder die Zukunft der Philosophie (1939), David Hume (1940), Jenseits des Existentialismus (1957), Hg: Die Philosophie im XX. Jahrhundert (1959 , (2) 1963), Schriften in: Ztschr. f. phil. Forsch. 19 (1965)



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  1. Grundzüge der Philosophie Heinemanns


I. Kritik der Existenzphilosophie


Heinemanns Aufmerksamkeit galt besonders der Existenzphilosophie bzw. dem Existentialismus. Er verwendete den Ausdruck „Existenzphilosophie“ zum ersten Mal 1929 als Kennzeichnung einer neuen Richtung in der Philosophie, auch wenn er den Begriff selbst nicht prägte. Die „neuen Wege“ dieser Philosophie sah er darin eröffnet, dass die Philosophie zum Leben und zu den Sachen selbst durchstieß und nicht in abstrakter Rationalität gleichsam „irrational“ in der Luft hängenblieb. Philosophie sollte sich mit der Lebendigkeit des Lebens auch in seinen sinnlichen Aspekten (Natur, Kunst, Gefühl) beschäftigen, nicht mit reinen „Verstandesthemen“. Seine Skepsis gegenüber der durchrationalisierten Technikwelt und der entpersonalisierenden Massengesellschaft gründete auf seiner tiefen Empfindung vom Bankrott des rechnenden Verstandes. Dieses Gefühl verband ihn einerseits mit manchen Vertretern der Existenzphilosophie. Andererseits reichten ihm die Entwürfe und Systeme der Existenzphilosophie nicht aus.

Angesichts der Katastrophen des 20. Jahrhunderts, die den grausigen Abgrund der Sinn- und Orientierungslosigkeit und „das Nichts in seiner menschenmordenden Form“ enthüllten, und angesichts der krisenhaften Spannungen in der Welt nach 1945 stellte sich für Heinemann die Frage, ob der Existentialismus auch lebbar oder nur ein nachdenkenswertes philosophisches Programm sei. War der Existentialismus im Zeitalter der totalitären Ideologien, der Atombombe, der Entwurzelungen und Vertreibungen noch zu „geistiger Führerschaft“ fähig? Auch andere geistige Angebote hatten nach Heinemann versagt und zur weiteren Entfremdung des Menschen von sich und vom Leben geführt. Die Spezialisierung der Wissenschaften erzeuge ein geistiges Vakuum, das Christentum habe keine Antworten mehr, der Marxismus habe sich selbst als unterdrückerische Lehre erwiesen und der Positivismus habe das rationale Denken und die Technik an die oberste Stelle gesetzt. Die Technik inklusive des Computers sei selbst bedrohlich geworden, auch Kunst und Musik definierten sich nur noch durch technisch-methodisches Können, so daß unsere Kultur als solche bedroht sei.

An Husserl, den er persönlich kannte, (der aber eigentlich kein Existenzphilosoph ist), kritisierte er die Unmöglichkeit einer reinen Bewusstseinsphilosophie und das Fehlen eines „gesunden Menschenverstandes“. An Jaspers kritisiert er dessen philosophisch-mystische Bewegung ins Unendliche, die dem Menschen zwischen „Existenz“ und einem „Umgreifenden“ (Gott) nur ein verschwindendes Dasein übriglasse. Sartres Philosophie habe sich - bei vollem Respekt für seine Leistung im Widerstand gegen den Nationalsozialismus - dadurch diskreditiert, dass sie ihre Position als Gegenpol gegen die totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts nicht durchgehalten habe, da Sartre sich selbst zum Marxismus hingezogen fühlte. Das Grundübel des Existentialismus sei jedoch, dass er aus den absurden Ereignissen in der Welt die Absurdität und Sinnlosigkeit der Welt selbst schließe. Der Existentialismus sei ein Indiz für die wachsende Gefährlichkeit der Welt, deren bedrückende Probleme den Menschen auch geistig „nihilistisch“ zu vernichten drohten. Deshalb seien die existentiellen Fragen nach wie vor echt und richtig, aber die existenzphilosophischen Lösungsangebote unzureichend, da sie den bedrängten Menschen in den „Ruinen einer erschütterten Welt“ mit seinen Entscheidungsproblemen allein ließen. Man brauche keine Existenzphilosophen, sondern existentielle Philosophen, die die „Feuerprobe des Nihilismus“ bestehen. Die Existenz müsse von einem konstitutiven Prinzip in eine regulative Idee umgewandelt werden.




II. Der Mensch als antwortendes Wesen


Entsprechend der Vielseitigkeit der Daseinsebenen des Menschen entwickelt Heinemann eine „Resonanzphilosophie“. Der Mensch als ein natürliches, sinnliches, nachdenkendes, fragendes, ethisches, aber auch religiöses Wesen stehe als ganzes mit allen Wirklichkeitsebenen in einer Beziehung (Resonanz). Der Mensch müsse auf alle an ihn gestellten Herausforderungen reagieren, das heißt antworten. Deshalb ist die Responsabilität das Grundprinzip der Anthropologie Heinemanns : respondeo, ergo sum (ich antworte , also bin ich ). Krisen des Menschen entstünden , wenn der Mensch auf Teilbereiche und Teilantworten reduziert werde, also die Totalresonanz der Partialresonanz geopfert werde. Da Heinemann überzeugt ist, dass alle philosophischen Prinzipien letztlich auf philosophischem Glauben beruhen, also nicht vollständig rational begründbar seien, erstreckt sich sein philosophisches Fragen auch auf die religiöse Dimension. So unterscheidet er drei Hauptbereiche der Wirklichkeit und des Nachdenkens: Welt, Mensch und Gott.

Die Welt als Natur mit Tieren und Pflanzen kommt bei Heinmann zwar in den Blick, aber der Traum einer umfassenden Naturphilosophie sei ausgeträumt, da die Natur uns keinen absoluten Sinn vermitteln könne. Zwar stellt für Heinemann das konkrete Leben ( z.B. der Bauplan einer Eiche) einen Wert dar, so daß schon primitives Leben wertgerichtet und wertvoll sei (gegen Schopenhauer). Alle Interpretationen der Natur gingen aber vom menschlichen Geist aus. Derjenige Mensch, der im Kosmos die „Musik der Sphären“ zu hören meine oder die „Harmonie der Zahlen“ wiederzufinden glaube, erkenne etwas „wieder“, was nur entfernt mit dem menschlichen Geist selbst verwandt sei, das heißt, er deute Analogisches in Identisches um.

Der Mensch stehe zwar mit dem Kosmos in Resonanz, habe aber eine herausragende Stellung in der Natur. Hier knüpft Heinemann an die Gottesebenbildlichkeit des Menschen an (vgl. 1.Mose 1 ) und verwendet diesen Begriff in einem nüchternen antiideologischen Sinn. Da Heinemann den Menschen grundsätzlich in gefährdende Situationen gestellt sieht, die er als nicht änderbare „Entfremdung“ bezeichnet, sei die Ver- antwortung (!) des Menschen gefragt. Insbesondere die schrumpfende Weltkugel und das Bevölkerungswachstum der Menschheit erforderten eine erweiterte Verantwortlichkeit des Menschen - auch vor Gott.

Gott ist für Heinemann als Gegenpol zur Welt notwendig, da er die Absolutsetzung des Menschen und der Welt (Vergottung) verhindere und den bedrohlichen Druck der Verhältnisse der Welt auf den Menschen abschwäche und dem Menschen einen positiven Sinn verleihe. Der Mensch habe nur die Wahl zwischen dem Nichts (der Sinnlosigkeit) oder Gott als „Bejahung in höchstmöglicher Form“ (positiver Lebensgrund). Heinemann kritisiert seinerseits die atheistische Religionskritik, die - rein destruktiv verstanden - fatale Folgen gehabt habe. Mit dem Glauben an Gott sei aber nicht ein „ekstatischer Aufschwung“ zum transzendenten Einen im Sinne Plotins oder eine mystische Erfahrung gemeint. Die Erfahrung des Göttlichen sei auch nicht an eine Religion gebunden. Alle Religionen sollten ihre inneren moralischen Kräfte gegen den Nihilismus des 20. Jahrhunderts vereinen, wobei nicht an die Auflösung der Religionen oder an eine utopische Weltreligion gedacht ist. Scharf kritisiert Heinemann dagegen (schon 1957 !) neu aufkommende Ersatzreligionen und „esoterische Sekten“, wobei er Theosophen, Anthroposophen, Spiritisten und „Yogis“ in einem Zuge nennt. Für ihn ist der lebendige Gott der gleiche wie „der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ , der den Menschen „in der Tiefe mit überströmendem Leben berührt“ , was mehr sei als reine Achtung der Menschlichkeit.

Daß Heinemann hier das geistige Erbe eines liberalen Judentums zur Geltung bringt, dürfte ebenso einleuchten wie die Einsicht in die Schwierigkeit einer streng philosophischen Vermittlung dieser Gedanken. Heinemanns Idee einer „Lebensgrundwissenschaft“, die das Gemeinsame aller Teilbereiche des menschlichen Forschens und Nachdenkens zur Aufgabe hätte, ist schemenhaft und unausgeführt geblieben. Man hat vermutet, dass Heinemann die schwierigen Jahre seiner Emigration in seinem Denk- und Schaffensprozess gehemmt hätten. Man muss aber feststellen , dass diese Aufgabe auch 30 Jahre nach Heinemanns Tod zu den kontroversen und ungelösten Themen der Philosophie gehört.




oben Autor: Gerhard Glombik  Web: Daniel Neufeld  Datum: Aug. 1999. Letzte Änderung am 24. Oktober 2005
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