Informationssystemsystem Johanneum Lüneburg Alphabetischer Index unten
Überblick   Chronik   Realgymnasium

1834-1884 Fünfzig Jahre Realklassen des Johanneums aus der Sicht ihres ersten Hauptlehrers Carl Kühns (1808-1888)


Jubiläum von Kühns und des Realgymnasiums

Am 1. November 1883 begeht Carl Kühns seinen 75. Geburtstag. 49 Jahre lebt er nun bereits in Lüneburg und hat Generationen von Schülern ein solides Wissen in Mathematik und Französisch vermittelt. Gustav Penseler, einer seiner Schüler28 des Abiturjahrgangs 1884, erinnert sich später gerne an den Unterricht der älteren Lehrer am Johanneum und berichtet darüber29:
".(....) In den oberen Real-Klassen unterrichteten vor etwa 50 Jahren außer Görges meist nur ältere Männer, die die heutige Altersgrenze von 65 Jahren schon erheblich überschritten hatten und darum kaum Verständnis für die Freuden und Leiden des Schülers und das Ringen der jugendlichen Geister haben konnten. Doch alle diese älteren Herren - Kühns, Kohlrausch, Steinvorth - haben es mit ihren Pflichten als Lehrer tief ernst genommen. Ich persönlich habe viel von dem, was von ihnen stammte, als sicheres Gut mit in meinen Beruf hinübergenommen. Bei manchem Abiturientenexamen, das ich selbst abgehalten habe oder bei dem ich zugezogen bin, habe ich feststellen können, daß mein festgegründetes Schulwissen die Jahre überdauert hatte und nicht selten das der heutigen Generation auf einzelnen Gebieten überragte.
Was ich z. B. beim alten "Monsieur l'Inspecteur Kühns" an französischer Grammatik und französischen Redewendungen gelernt habe, sitzt heute noch. Kein Wunder! Seine Stunden waren meist von köstlicher, urspünglicher Frische und stehen mir heute noch in lebendigster Erinnerung. In ihnen wechselte, wie häufig im Leben, Sonnenschein unvermittelt mit Wetterschlag. Der alte Herr - er war 76 Jahre, als ich abging - besaß trotz seines hohen Alters und eines Beinleidens, das er sich bei einem Fall zugezogen hatte, eine Beweglichkeit und ein Temperament, um das ihn jüngere beneiden konnten. Die Stimmung schlug nur zu plötzlich von einem Extrem ins andere, und so konnte es vorkommen, daß man eben aufs höchste gelobt, im nächsten Augenblick durch eine geringfügige Ursache als ein nichtswissender Esel heruntergedonnert wurde. Drastisch, witzig und gelegentlich derb in seinen Ausdrücken, war er mit Leib und Seele Schulmeister. (...)
Kühns war trotz seines Wetterns ein gutmütiger und wohlwollender Lehrer. Eine Entschuldigung z. B.: 'Ich konnte wegen Zahnschmerzen meine Arbeit nicht machen', ließ er stets gelten, und sprach meistens noch sein aufrichtiges Mitleid aus, da er wohl am eigenen Leibe die Qualen dieses Leidens erfahren hatte. Jedenfalls war Kühns ein Original, von dem mancherlei spaßige Geschichten unter den Schülern im Umlauf waren. Wenn heute alte Lüneburger Realgymnasiasten Schulerinnerungen austauschen, so nimmt das Erzählen von Kühns'schen Witzen und Anekdoten kein Ende. Und hat die Stimmung beim Auffrischen von Schulerlebnissen einen gewissen Höhepunkt erreicht, da greift der eine oder andere wohl zu seinem Spazierstock und sucht den charakteristischen Gang des Herrn Inspektors nachzuahmen, wie er voller Würde, auf seinen Stock gestützt, die Klasse betritt, und dieser oder jener weiß mit ein paar Strichen das Gesicht des alten würdigen Herrn aus dem Gedächnis lebenswahr aufzuzeichnen."
Der Tag des Jubiläums für die Realschule und Carl Kühns am Mittwoch, 15. Oktober 1884 ist gekommen. Bereits am frühen Morgen lassen seine alten Schüler ihrem früheren Lehrer ein Ständchen bringen30. Zum "Öffentlichen Schulaktus" um 9.30 Uhr in der Aula des Gymnasiums versammeln sich die Klassen Prima bis Quarta des Gymnasiums und des Realgymnasiums sowie eine große Anzahl Gäste, Mitglieder der städtischen Kollegien und die Vertreter der verschiedenen Schulen in Lüneburg. Das Schulgebäude ist besonders im Innern mit Tannenzweigen, Laubgewinden und Topfgewächsen festlich geschmückt.
"Dann bestieg Herr Director Haage das Katheder", so beschreibt der Chronist der örtlichen Zeitung den weiteren Verlauf der Feierstunde31, "und schilderte, zum Theil mit den Worten seines in Gott ruhenden Vaters, die Gründungsgeschichte unserer Realschule, die am 15. October 1834, als eine der ersten Schulen in Deutschland, und als die erste im Hannoverlande, einem unabweisbaren Bedürfnisse entsprechend, mit etwa 65 Schülern ins Leben gerufen sei und sich dann allmälig zu der Anstalt entwickelt habe, deren wir uns heute in unserm Realgymnasium zu erfreuen hätten. (....) Den Jubilar bezeichnete der Redner als den Mann, der mit der Realschule aufs innigste verwachsen sei."
Direktor Haage spricht dem Jubilar die herzlichsten Glückwünsche des Johanneums aus und schließt seine Rede mit den gleichen Gebetsworten, die der Direktor vor fünfzig Jahren gesprochen hat32. Hierauf überbringt Rektor Dr. Kohlrausch die Glückwünsche der Lehrer des Realgymnasiums und hebt hervor, daß Carl Kühns, auch wenn er demnächst nach langer, gewissenhafter und anstrengender Arbeit in den verdienten Ruhestand trete, doch mit seinen Gedanken und Gefühlen beim Johanneum und seiner Realschule weilen werde. Zugleich übergibz er die vom Johanneum herausgegebene Festschrift."
Weitere Glückwunsche werden dem Jubilar überbracht, und Oberbürgermeister Lauenstein überreicht ihm den vom Kaiser verliehenen Orden. Dann nimmt tiefbewegt Carl Kühns selbst das Wort. Über das, was er sagt, berichtet der Chronist: "Schwer rangen sich die Worte aus seinem vollen Herzen. Bescheiden wies er alles überschwengliche Lob zurück. Nur das dürfe er für sich in Anspruch nehmen, daß er seine Schüler allezeit auf seinem Herzen getragen und stets ihre wahre Wohlfahrt gewünscht habe; er habe nicht nur ein strenger Lehrer, sondern auch ein väterlicher Freund sein wollen. Und in der That, als nun der Jubilar auf seine ersten Schüler, deren heute manche vor ihm saßen, zu sprechen kam, da kämpfte er männlich gegen die sich mit Gewalt hervorbrechenden Thränen an. Die tiefste Bewegung im Innern sollte sich bei dem ernsten Mann auf der Oberfläche nicht breit machen. Mit demselben Gebet, welches er am Schluß seiner ersten Amtseinführung vor Gott getragen, schloß der Jubilar seine Rede."
An dem sich anschließenden Festprogramm und Festessen nimmt selbstverständlich auch der Chronist teil und schreibt darüber in seinem Bericht u.a.: " (....) Wenn nun Herr Inspector Kühns jetzt das Wort nahm, für alle Erweisungen so inniger Theilnahme zu danken, so geschah das offenbar mit einem gewissen Gefühl des Erdrücktseins von all dem, was heute schon an seiner bewegten Seele vorübergegangen war, gleichsam wie ein schöner Traum. So rühmte er dann auch, was ihm, der vor 50 Jahren mit bangen Gedanken von Berlin nach Lüneburg gekommen, hier alles über Hoffen und Verstehen Gutes zu Theil geworden sei. Der heutige Tag aber setze allem die Krone auf. Er sähe, wie fest Lüneburg mit seinem Herzen verbunden sei und werde bis in den Tod ein dankbarer Bürger Lüneburgs bleiben auf dessen Gedeihen er sein Glas leere."
Der Chronist der "Lüneburgsche Anzeigen" bemerkt am Ende seines Berichtes über das Jubiläum in Lüneburg: "Zwei Gedanken sollen aber am Schluß noch zum Ausdruck kommen: die Dankbarkeit ist in unsern Tagen, soweit bittere Klagen auch laut werden, noch nicht ausgestorben und zun andern: In der Stadt Lüneburg kennt man jene Knauserei in bezug auf Schulen und verdiente Lehrer nicht, welche an manchen Orten den Vertretern der Gemeinde wahrlich keine Ehrensäule errichtet. Das hat der vorgestrige Tag glänzend wieder ans Licht gebracht."
-------------
28. Programm des Johanneums zu Lüneburg. Ostern 1884. Lüneburg 1884
29. Penseler, Gustav: Lehrergestalten vom Lüneburger Realgymnasium. In: 8. Bericht der Vereinigung ehemaliger Schüler des Johanneums zu Lüneburg , 1934 (Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Az 4355/20)
30. Haage, Rudolf (Direktor): Beschreibung der Feier des fünfzigjährigen Jubiläums der Realschule und des Oberlehrers und Inspektors K. Kühns. In: Programm des Johanneums zu Lüneburg. Ostern 1885. Lüneburg 1885
31. Lüneburgsche Anzeigen. Zeitung für den Bezirk der Landdrostei Lüneburg. Freitag, 17. Oktober 1884, Nr. 245
32. Haage, Rudolf (Direktor): Beschreibung der Feier des fünfzigjährigen Jubiläums der Realschule und des Oberlehrers und Inspektors K. Kühns. In: Programm des Johanneums zu Lüneburg. Ostern 1885. Lüneburg 1885


nach oben Autor: Walter Kühns (Urgroßenkel), Web: Gisela Müller Datum Februar 2004. Letzte Änderung am 27. Mai 2004
Informationssystem [Informationssystem] [Chronik] [Hervorragende] Überblick [Webteam] [[E-Mail-Adressen s. Überblick]] [Exposystem] Schulentwicklung