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9. Kulturpolitische Situation zum Zeitpunkt der Veröffentlichung

Zu Beginn der siebziger Jahre zeichnet sich in der Literatur der DDR eine Entwicklung ab, die Ausdruck des gefestigten Position des sozialistischen Staates ist. Ein Jahrzehnt nach dem Mauerbau, unter der neuen Führung von Erich Honecker und im Zeichen der "Tauwetterperiode" in den innerdeutschen Beziehungen, die zur gegenseitigen Anerkennung der beiden deutschen Staaten führen wird, gilt die Existenz eines sozialistischen deutschen Teilstaates in der Welt als historische Tatsache. Von der harmonisierenden Formel "sozialistische Menschengemeinschaft", die Walter Ulbricht geprägt hat, ist man zur "entwickelten sozialistischen Gesellschaft" übergegangen. Diese gesellschaftliche Entwicklung hat sich auf die Literatur insofern niedergeschlagen, als dass die Autoren nicht mehr ausschließlich die Rolle innehatten, mit dem Überblick des "Planers und Leiters" die Menschen in ihren Werken nach sozialistischen Idealen zu erziehen, sondern zunehmend dazu übergingen, eine Vielzahl von Konflikten innerhalb der Gesellschaft zu thematisieren. Die Themen in dieser Zeit verschieben sich von Darstellungen des Klassenkampfes hin zu Problemen von Individuum und Gesellschaft. Darüber hinaus findet eine ästhetische Emanzipation statt, insofern als dass sich Autoren mehr und mehr von den strikten Normierungen des sozialistischen Realismus lösen.

Mit dem VIII. Parteitag der SED 1971 wird diese Entwicklung von der Partei anerkannt und somit offiziell eine neue Phase der Kulturpolitik eingeleitet. Diese offizielle Billigung hat zum Ergebnis, dass eine Reihe von Werken, die bislang nicht veröffentlicht werden konnten, nun zum Druck freigegeben werden bzw. aufgeführt werden können. Davon profitiert auch Ulrich Plenzdorf, der die bereits 1968 verfassten "Neuen Leiden des jungen W." nun veröffentlichen kann. Im März 1972 erschien die Prosafassung in der Literaturzeitschrift "Sinn und Form" , während im Mai desselben Jahres die Bühnenfassung am Landestheater in Halle uraufgeführt wurde. Die Veröffentlichung des Werkes löste in der Öffentlichkeit der DDR bemerkenswerte Reaktionen aus. Während sich insbesondere die Bühnenfassung großer Beliebtheit erfreute, fand in der Zeitschrift "Sinn und Form" und anderen Kulturblättern eine angeregte Diskussion zwischen Literaten und Laien statt.

Auf der 9. Tagung des ZK 1973 äußerten Erich Honecker und Kurt Hager Kritik an Plenzdorfs und anderen kürzlich erschienenen Werken: "Die in verschiedenen Theaterstücken und Filmen dargestellte Vereinsamung und Isolierung des Menschen von der Gesellschaft macht deutlich, dass die Grundhaltung solcher Werke dem Anspruch des Sozialismus an Kunst und Literatur entgegenstehen" (Kurt Hager). Die kulturpolitische Linie der Partei ist also nicht frei von Versuchen, die Entwicklungen in der Literatur wieder stärker ihrer Kontrolle zu unterwerfen und teilweise rückgängig zu machen (Fischbeck). Bemerkenswert ist, dass die öffentliche Diskussion über "Die neuen Leiden des jungen W." trotz dieser Einwände weitergeht. Sie ist daher Ausdruck der Emanzipation der Literatur und gleichzeitig ein Meinungsaustausch über Ziele der Neuorientierung.



obenAutor: Eike M., Christoph M., Philipp M., Deutsch-LK Müller  Datum: April 2000, Letzte Änderung am 14. März 2001
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