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Unser ehemaliger Lehrer Armin Kuhn berichtet aus Genf.

Es sind nun zwei Schuljahre seit meinem Wechsel vom Johanneum zur Deutschen Schule nach Genf vergangen, und einige von Euch (ihnen) mögen sich vielleicht einmal gefragt haben, was wohl aus dem Kollegen bzw. Lehrer Kuhn geworden ist. Gedanklich bin ich häufig in Lüneburg, am Johanneum, und ich werde auch über alle Geschehnisse und Ereignisse sorgfältigst informiert.

Inzwischen hat es einen intensiven Kontakt meiner neuen Schule mit dem Johanneum gegeben: Wir, die Deutsche Schule Genf, haben Herrn Nissen eingeladen, am 27. und 28. September unsere diesjährige Schulinterne Lehrerfortbildung zum Thema "Offener Unterricht und Freiarbeit am Gymnasium" zu leiten. Am ersten Tag stellte er uns methodisch-didaktische Begründungen für diese Art von Unterricht und Beispiele aus der Praxis vor. Die Ergebnisse der nachmittäglichen Arbeit in Workshops wurden am zweiten Tag vorgestellt und diskutiert. Wir Kolleginnen und Kollegen arbeiten inzwischen auf der Ebene der Fachkonferenzen an diesen Themen weiter.

oben auf hier Nun mein erster Bericht aus Genf:

Ihr könnt Euch (Sie können sich) sicherlich gut vorstellen, daß mit einem Wechsel an eine Auslandsschule sehr viele neue Eindrücke auf einen zu kommen, die nicht so leicht zu bündeln sind. Aus diesem Grunde werde ich darauf verzichten, einen sehr langen, alles beinhaltenden Bericht zu schreiben, sondern ich werde mich mehrmals mit kürzeren Beiträgen aus Genf melden.

Am besten beginne ich mit einigen subjektiven und ganz und gar willkürlichen Anmerkungen zur Stadt Genf.

Vom Selbstverständnis her ist diese Stadt eigentlich gar nicht schweizerisch, sondern französisch geprägt. Das hängt nicht nur an der Sprache (Genf ist natürlich frankophon) oder an der Tatsache, daß die Stadt bzw. der Kanton erst seit 1815 Teil der Eidgenossenschaft sind, sondern liegt vor allem daran, daß Genf nach drei Seiten an Frankreich grenzt bzw. vom französischen Staatsgebiet umgeben ist. Nur der Weg nach Norden führt weiter in die Schweiz, v.a. in die ungeliebte Deutschschweiz jenseits des RöstiGrabens. Das natürliche wirtschaftliche und v.a. kulturelle Umfeld ist also Frankreich. So richtig heimisch fühlen sich die Genfer und auch die anderen Suisse Romands deshalb in der Schweiz auch nicht. Darüber hinaus besteht bei ihnen der Eindruck, daß sie von der deutschsprachigen Mehrheit permanent politisch benachteiligt und aus Bern fremdbestimmt werden. In allen bedeutenden Volksabstimmungen und -befragungen der letzten 20 Jahre, die häufig mit dem Verhältnis der Schweiz gegenüber Europa zu tun hatten, läßt sich eine klare Spaltung des Landes erkennen: hier eine europafreundliche, offene, liberale, auf Frankreich orientierte Minderheit, dort eine europaablehnende, eng nationalstaatlich denkende, eher ländlich strukturierte deutschsprachige Mehrheit. So fühlen sich die Romands (oder Weischen - wie die Deutschschweizer sie nennen) immer überstimmt und sehen nur die Möglichkeit, sich in kleinen Dingen zu "rächen". Obwohl die Genfer Schüler alle deutsch als erste Fremdsprache lernen und die Schweiz ja auch offiziell dreisprachig ist, weigern sich die Genfer zunächst einmal, deutsch zu verstehen oder es zu sprechen. Es bereitet ihnen sichtliches Vergnügen, Deutschschweizer auflaufen zu lassen, wenn diese sich ihnen sprachlich auf deutsch nähern. Gibt man sich jedoch als Deutscher zu erkennen, der zudem versucht, französisch zu sprechen, wird man sich wundern, wie viele Genfer gut und auch gerne deutsch sprechen. Dann klagen sie auch gerne über das Schwyzerdütsch, das sie nicht verstehen, weil es soweit von der Hochsprache entfernt ist, die sie in der Schule gelernt haben. Auch gefällt es den Genfern, Witze über die Deutschschweizer und ihre vermeintliche (oder wirkliche?!) Langsamkeit und Unbeweglichkeit zu machen, besonders im Radio. Dort endet manche Durchsage mit der halb ernst, halb spaßig gemeinten Ankündigung: "und jetzt das Ganze noch einmal gaaaanz laaaangsam für unsere deutschsprachigen Mitbürger." Wenn ich vorhin erwähnt habe, daß sich die Genfer französisch fühlen, dann gilt das natürlich nur für die ca. 70% Einheimischen, die in der Stadt bzw. im Kanton leben. Ca. 30% der in Genf lebenden Menschen sind Ausländer, die sich hier nur zeitlich befristet aufhalten, aber das Bild der Stadt natürlich mitprägen. Es macht viel Spaß, am Wochenende bei schönem Wetter am rechten Seeufer zu promenieren und dabei Menschen unterschiedlicher Hautfarbe in den verschiedensten Kleidern und mit den verschiedensten Sprachen zu begegnen. Vor allem diese internationale Atmosphäre trägt dazu bei, daß ich eigentlich nicht das Gefühl habe, in der Schweiz zu leben, sondern eben in Genf mit seinem spezifischen Ambiente. Der internationale Charakter der Stadt zeigt sich in den vielen internationalen Organisationen, Firmen, Schulen, Gottesdiensten, Krankenhäusern, die man hier findet, aber auch in der Tatsache, daß es viel englischsprachiges Theater gibt, und darin, daß im Kino die Filme immer im Original mit französischen und deutschen Untertiteln gezeigt werden. Das kommt mir als Englischlehrer natürlich sehr entgegen, führt aber dazu, daß der Druck, französisch zu sprechen, nicht sehr groß ist.

Wer sich Genf wegen seiner Internationalität nun als Großstadt vorstellt, wird enttäuscht sein. Genf ist klein, beengt und wirkt in seinem kulturellen Angebot bisweilen provinziell. Bern, v.a, aber Zürich haben in dieser Hinsicht weitaus mehr zu bieten. Das calvinistische Erbe der Stadt Genf scheint hier nachzuwirken.

Einer der ganz wesentlichen Vorteile, in Genf zu leben, liegt nicht nur in der Stadt selber, sondern in ihrer geographischen Lage. Zwei Autostunden trennen uns von Burgund, drei von der Provence, drei von Mailand, anderthalb von Lyon, in der unmittelbaren Umgebung liegen Hochsavoyen, der Jura und die französischen Voralpen, das Mont-Blanc-Gebiet. Dieser geographische Vorteil prägt das Freizeitverhalten der Genfer und führt neben dem Mangel an Kriminalität zu hoher Lebensqualität,

Wer in Genf leben möchte, sollte genügend pekuniäre Mittel zur Verfügung haben. Das Leben hier ist unglaublich teuer (auch im Vergleich zur ohnehin teuren Schweiz). DM 4000 Monatsmiete für ein ganz normales Reihenhaus sind üblich und werden v.a. von den hier lebenden Ausländern natürlich bezahlt. Das Gleiche gilt für Lebensmittel, wobei hier aufgrund der o.a. geographischen Lage immerhin noch der Ausweg bleibt, in Frankreich zu normalen Preisen einzukaufen.

So weit zur Stadt Genf. Im nächsten Bericht werde ich versuchen, Euch (Ihnen) die Deutsche Schule Genf ein wenig näher zu bringen.

A bientôt!

Armin Kuhn


oben auf hier Liebe Kolleg[inn]en, liebe Schüler und Eltern,

Wie schon in der letzten Ausgabe von JOHANNEUM INTERN angekündigt, möchte ich Euch (Ihnen) heute etwas über meine neue Schule, die Deutsche Schule Genf (DSG), erzählen, die sich in einigen Punkten doch deutlich vom Johanneum unterscheidet. Dabei möchte ich zunächst auf äußere Aspekte eingehen.

Die DSG ist eine Privatschule, die von ihrem Träger, dem Verein für deutschen Schulunterricht, Mitte der siebziger Jahre gegründet wurde.

Sie besteht aus Kindergarten, Vorschule, Grundschule und Gymnasium. Kindergarten, Vorschule und Grundschule sind in einem Gebäude in Petit-Saconnex untergebracht, das Gymnasium liegt in Chatelaine. Außerdem werden Sprachkurse für frankophone Schüler und Mitarbeiter von UN-Unterorganisationen (z.B. UNV) angeboten.

Schule in privater Trägerschaft - das hat natürlich Konsequenzen. Zunächst einmal bedeutet das, daß die Eltern für ihre Kinder Schulgeld bezahlen müssen, je nach Jahrgangsstufe zwischen SFr 8800 (1. Klasse) und ca. SFr 11500 (13. Klasse) jährlich. Das klingt sehr teuer, ist es aber für Genfer Verhältnisse nicht, denn mit diesen Schulgebühren liegt die DSG im Vergleich mit anderen privaten, zumeist internationalen Schulen sehr günstig. In der Regel stöhnen die Eltern auch nicht über die Schulgebühren, denn meistens tragen die Arbeitgeber oder der Staat - zumindest teilweise - diese Kosten. Trotzdem glauben viele Eltern, sich mit diesen Geldzahlungen auch in irgendeiner Form eine Mitsprache bzw. eine Mitwirkung zu erkaufen, von der einige reichlich Gebrauch machen. Doch kann ich sagen, daß die Beteiligung der Eltern am Schulleben nicht nur sehr aktiv, sondern auch wirklich produktiv ist. Die Schulpflegschaft (Vertretung der Eltern) organisiert und finanziert Schul- und Klassenfeste, Dichterlesungen, Ausstellungen, Anschaffungen für das Schulgebäude u.v.a.m. Zum Teil werden Aufgaben übernommen, die an staatlichen Schulen in Deutschland von den Lehrern organisiert werden. Bei der Klassenfahrt mit meiner 8. Klasse (Skifreizeit nach Champèry im Wallis) z.B. haben sich die Eltern wie selbstverständlich bereiterklärt, den Ski- und Gepäcktransport zu übernehmen. Aufgrund des intensiven Zusammenwirkens ist es auch zu erklären, daß der Kontakt zwischen Lehrern und Eltern auch privat recht eng, sehr häufig freundschaftlich ist.

Ein weiteres wichtiges Merkmal der DSG als Privatschule ist, daß wir Lehrer kaum auf bürokratische Hemnisse stoßen. Initiativen zur Veränderung des Schullebens müssen mit den Selbstverwaltungsgremien der Schule abgesprochen und in ihnen vorgetragen und diskutiert werden. Die Verwaltungswege sind kurz, und selten stößt man auf Paragraphen und Ordnungen, die nicht verändert werden können. Wer als Lehrer, Schüler oder Elternteil mit einer neuen Idee etwas bewegen will, dem stehen hier viele Tore offen. Das führt übrigens auch dazu, daß insgesamt sehr viel Engagement entwickelt wird.

Von den ca. 30 Kollegen, die an der DSG unterrichten, sind 9 (wie ich) aus Deutschland vermittelt und entsandt, d.h. sie werden auch aus Deutschland bezahlt. Die übrigen Lehrer, die sog. Ortslehrkräfte werden vom Schulverein eingestellt und bezahlt. Sie erhalten in der Regel nur Einjahresverträge, die nach Ablauf des Schuljahres verlängert werden - mit Sicherheit ein Nachteil für diese Kollegen, weil sie das subjektive Gefühl empfinden, einen unsicheren Arbeitsplatz zu haben. Das kann bisweilen dazuführen, daß diese Kollegen im Umgang mit Eltern und Schülern etwas vorsichtiger, vielleicht etwas unsicherer auftreten. So viel erst einmal zu diesem Aspekt.

Die DSG ist eine kleine Schule. Alle Jahrgangsstufen fahren einzügig. Von den z.Zt. 196 Schülern besuchen 58 die Primarstufe, 102 die Sekundarstufe I und 36 die Sekundarstufe II. 179 Schüler sprechen deutsch als Muttersprache. 166 Schüler besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit, 7 die schweizer und 23 andere Staatsangehörigkeit(en). Das Zahlenverhältnis zwischen Jungen (100) und Mädchen (96) ist relativ ausgeglichen. Charakteristisch für die DSG ist die hohe Schülerfluktuation. In der Regel verlassen ca. 30% der Schüler aufgrund der beruflichen Mobilität der Eltern jedes Jahr die Schule, werden aber durch neue Schüler ersetzt, so daß die Schülerzahl weitestgehend konstant bleibt.

Die Klassenfrequenz ist für deutsche Verhältnisse geradezu paradiesisch, zwischen 10 und 20 Schülern. Die letzten beiden Reifeprüfungsjahrgänge umfaßten 6 bzw. 8 Schüler. Ihr könnt (Sie können) sich vorstellen, daß die Zusammenarbeit zwischen Schülern und Lehrern ebenfalls sehr eng ist. Ich glaube, die Schüler können sich über mangelnde Betreuung durch die Lehrer nicht beschweren, zumal diese über den bloßen Unterricht auch in den privaten Bereich hinaus geht.

Die DSG ist im Sekundarbereich ein Gymnasium (ab Klasse 5). Jedoch werden auch lernschwächere Schüler als Haupt- oder Realschüler eingestuft und im jeweiligen Klassenverband nach den Prinzipien der Binnendifferenzierung unterrichtet. Sie erhalten "bonifizierte" Noten, d.h. ihre Leistungen in Klassenarbeiten werden entweder nach einem anderen Bewertungsmaßstab beurteilt oder in einem anderen Aufgabenumfang erbracht. Im Unterricht müssen die Lehrer ihre Stundengestaltung dann sowohl auf potentielle Hauptschüler als auch auf Gymnasiasten abstellen, was nicht immer ganz leicht ist. Andererseits muß das m.E. bei den o.a. Klassenfrequenzen möglich sein.

Noch ein letzter Aspekt - die DSG ist eine durchaus wohlhabende Schule. Aufgrund der Schulgebühren und der Förderungsmittel, die aus Deutschland kommen, aber auch aufgrund der Spendenfreudigkeit der Eltern und hiesiger Firmen ist es gelungen, die Schule in einem Maße mit Unterrichtsgeräten und Medien auszustatten, um den uns wohl manche staatliche Schule in Deutschland beneiden würde. Selbst die Kollegen aus Baden-Württemberg und Bayern sind manchmal beeindruckt.

So weit zu den äußeren Aspekten der Schule, denen noch sehr viel mehr hinzugefügt werden könnte. Beim nächsten Mal werdet Ihr (werden Sie) etwas über das Schulleben und den Schulalltag erfahren.


Á bientôt !

Armin Kuhn

nach oben Web: Niels Hapke Letzte Änderung am 21. März 1999 30. Juli 2004
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